Lula - Mythos oder Märtyrer?
Vom Held Brasiliens zur nationalen Hassfigur. Das Leben des Arbeiterführers Luiz Inácio Lula da Silva begann als politischer Höhenflug und endet in einer Tragödie. Ein Rückblick auf die wichtigsten Stationen.
Der Streikanführer
1975 wurde Lula zum Präsidenten der Metallarbeitergewerkschaft der Städte São Bernardo do Campo und Diadema im Bundesland São Paulo gewählt. Ende der Siebziger erreichte er als Streikführer landesweite Bekanntheit und galt deshalb in den Augen der Militärjunta als Bedrohung für die öffentliche Ordnung. 1980 wurde er nach einem 41 Tage dauernden Streik für 31 Tage verhaftet.
Der Parteigründer
Kurz vor seiner Festnahme brachte Lula gemeinsam mit Intellektuellen und Gewerkschaftern die Gründung einer neuen Partei auf den Weg: Die brasilianische Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores). Als er aus dem Gefängnis kam, widmete sich Lula als erster PT-Präsident definitiv der Politik: 1982 kandidierte er als Gouverneur von São Paulo. 1986 wurde er Abgeordneter in Brasilia.
Der Präsidentschaftskandidat
Die ersten Präsidentenwahlen nach 21 Jahren Militärdiktatur (1964-1985) fanden 1989 statt. Lulas linkspolitische Rhetorik schreckte konservative Teile der brasilianischen Gesellschaft ab, in Wirtschaftskreisen wurde vor seiner Wahl gewarnt. Trotzdem erreichte Lula die zweite Runde. Nach einem von persönlichen Angriffen gezeichnetem Wahlkampf verlor er knapp gegen Konkurrent Fernando Collor.
Der Wahlkämpfer
1994 kandidierte Lula erneut für das Präsidentenamt. Doch auch dieses Mal gelang ihm nicht der Einzug in den Regierungspalast. Der Arbeiterführer unterlag dem Akademiker Fernando Henrique Cardoso. Der ehemalige Außen- und Wirtschaftsminister wurde aufgrund seiner Erfolge bei der Bekämpfung der Inflation 1994 und 1998 zum Präsidenten Brasiliens gewählt.
Der Sieger
Nach drei Anläufen gelang Lula beim vierten Versuch 2003 der Einzug in den Regierungspalast. Erstmals in der Geschichte Brasiliens regiert ein Arbeiter und Gewerkschaftsführer das Land. Im Wahlkampf hatte er eine Allianz mit Teilen der brasilianischen Elite geschmiedet und einen Unternehmer als Vize nominiert, um die Wirtschaft zu beruhigen. Der linke Flügel der PT wurde zunehmend isoliert.
Der Rohstoffhändler
Unter dem gelernten Drechsler Lula, der seinen kleinen Finger bei der Arbeit in einer Autofabrik verlor, erlebte die Wirtschaft einen Boom. Die Nachfrage nach brasilianischen Produkten wie Soja, Rindfleisch und Erdöl nahm rasant zu. Gleichzeitig trugen die Erhöhung des Mindestlohns, die Ausweitung der Sozialhilfe und Investitionen in die Infrastruktur zum Wachstum des Binnenmarkts bei.
Politiker der Armen
Lula unternahm den ersten ernstzunehmenden Versuch zur Bekämpfung der Armut in Brasilien. 2004 wurde das Sozialhilfeprogramm Bolsa Família gegründet, das Aushängeschild seiner Regierung. Andere Initiativen halfen ärmeren Bevölkerungsschichten bei der Bezahlung von Wohnungen sowie Schul- und Universitätskosten. Fast 30 Millionen Menschen konnten unter Lulas Regierung der Armut entkommen.
Der Präsidentenmacher
Dank seiner Popularität gewann Lula die Wahlen von 2006 ohne große Anstrengungen. Am Ende seiner zweiten Amtszeit 2010 lag seine Popularität bei 87 Prozent. Lula kürte seine ehemalige Kabinettschefin Dilma Rousseff zur Nachfolgerin, sie wurde 2011 die erste Frau im Amt. Rousseff wurde 2014 wieder gewählt und 2016 in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren abgesetzt.
Der Krebskranke
Oktober 2011 wurde bei Lula Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Zum ersten Mal erschien der bekannteste Politiker Brasiliens ohne seinen charakteristischen Bart. Fünf Monate später galt der Tumor als besiegt, und Lula kehrte erneut auf die politische Bühne zurück. Mit Erfolg: 2012 gewann die PT die Kommunalwahlen in São Paulo. Die Stadt verfügt über das dritthöchste Budgets Brasiliens.
Der Angeklagte
Im Zuge der Korruptionsermittlungen unter dem Namen "Lava Jato" wurden in Brasilien zahlreiche Politiker der PT verhaftet. Auch Lula kam ins Visier der Ermittler. Ihm wurde vorgeworfen, illegale Vergünstigungen vom Bauunternehmen Odebrecht erhalten zu haben. Im Juli 2017 wurde er wegen Korruption zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. 2018 erhöhte ein Revisionsgericht das Urteil auf zwölf Jahre.