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Löfflers Lektüren

6. November 2009

"Deutsche Schutzgebiete" hießen offiziell die deutschen Kolonien in Afrika. Mit seinem Buch "Schutzgebiet" hat Thomas von Steinaecker einen avantgardistischen Kolonialroman vorgelegt.

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Porträtfoto Thomas von steinaecker (02.10.2007 kultur21)
Thomas von SteinaeckerBild: DW-TV

Thomas von Steinaecker, Jahrgang 1977, ist Roman- und Dokumentarfilm-Autor, pendelt zwischen Sprach- und Bildwelten, liebt das Spiel mit filmischer Montage und hat binnen zwei Jahren drei Romane vorgelegt. Auch in seinem dritten Roman Schutzgebiet bleibt er seinem ästhetischen Ziel treu: lesbar und zugleich avantgardistisch zu schreiben. Wiederum arbeitet er nach dem Montage-Prinzip, indem er seinem Roman vorgefundene (erfundene?) Textmaterialien beimischt.

Sein "Schutzgebiet" ist eine fiktive deutsche Kolonie in Südwestafrika namens Tola, in der eine Gruppe von verkrachten Existenzen und Glücksrittern eine Musterkolonie aufziehen will – "die fortschrittlichste und friedlichste Kolonie Deutschlands". Ein gescheiterter Holzunternehmer träumt von deutscher Forstwirtschaft am Rand der Wüste und will Afrikas Steppe mit deutschem Mischwald aufforsten.

Hirngespinste und utopische Projekte

Doch die Sache geht von Anfang an schief. Die deutschen Kolonisatoren hängen nur Hirngespinsten nach, ohne Rücksicht auf die realen Gegebenheiten. Schließlich vernichtet ein Großfeuer Wald und Siedlung, und die deutsche Kolonie wird von französischen Kolonialtruppen erobert. Wir schreiben 1914, und der Erste Weltkrieg hat soeben begonnen. Und nicht nur die deutsche Kolonialwelt wird darin untergehen.

Thomas von Steinaecker hat keinen historisch-kritischen Dokumentar-Roman aus der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika geschrieben. Eher will er am Beispiel einer fiktiven Kolonie und erfundener Kolonisatoren das Phantasmagorische, Irreale an utopischen Projekten vorzeigen. Der Roman übt keine explizite politische Kritik am Kolonialismus und an den Kolonialverbrechen, er macht vielmehr den Kolonialismus lächerlich, indem er von einem aberwitzigen Kolonial-Projekt erzählt, das an seiner eigenen grotesken Unangemessenheit scheitert.

Afrika-Bilder in deutschen Köpfen

Buchcover von Neo Rauch
Umschlagbild von Neo RauchBild: Frankfurter Verlagsanstalt

Vor allem aber ist der Autor an den gängigen Afrika-Bildern in den Köpfen seiner Möchtegern-Kolonisatoren interessiert. Zeitgenössische politische Phantasien sowie vulgäre und ideologisch aufgeladene Vorurteile über faule Neger und deutsche Herrenmenschen werden durchdekliniert – das ganze trübe und aggressive ideologische Gebräu, das zum Ersten Weltkrieg führen sollte. Die Fortschritts-Phantasien der Moderne werden spöttisch vorgeführt, ohne dass der Leser sicher sein kann, ob diese Phantasien nicht nur Erfindungen des Autors sind.

So lässt sich der Roman Schutzgebiet auf mehreren Ebenen lesen: als Abenteuerroman aus der Kolonialzeit oder als dessen Trash-Variante oder als Montage-Roman über zeitgenössische Afrika-Bilder und Afrika-Fiktionen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Besonders erwähnenswert ist der Buch-Cover, der alle drei Lesarten ironisch aufscheinen lässt. Gestaltet hat ihn der Leipziger Maler Neo Rauch, der das gesamte Herbstprogramm der Frankfurter Verlagsanstalt mit seinen Umschlagsentwürfen ausgestattet hat, mit zwiespältigem Echo.

Rezensentin: Sigrid Löffler
Redaktion: Gabriela Schaaf

Thomas von Steinaecker: «Schutzgebiet». Roman

Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 2009. 383 S., 19,90 €