Mächtiger Besuch aus Peking
26. Mai 2013Dunkle Wolken hängen über dem Berliner Regierungsviertel, seit Stunden regnet es in Strömen. An fast jeder Ecke stehen Mannschaftswagen der Polizei und das Bundeskanzleramt ist mit rot-weißen Straßensperren so dicht eingezäunt, dass auch Fußgänger ausweichen müssen. Menschenrechtsaktivisten haben Protestplakate aufgebaut, aber nicht vor dem Kanzleramt, sondern ein paar hundert Meter entfernt vor dem Reichstagsgebäude.
Es ist der neue chinesische Ministerpräsident Li Keqiang, der im Regierungsviertel die Sonntagsruhe stört. Um 16 Uhr hat ihn die Bundeskanzlerin auf dem roten Teppich mit militärischen Ehren empfangen. Eineinhalb Stunden sind für die anschließenden politischen Gespräche eingeplant. Doch bevor Angela Merkel und Li Keqiang vor den wartenden Journalisten das Wort ergreifen, sind deutsche und chinesische Minister, Staatssekretäre und die Manager einiger großer deutscher Konzerne gefragt. Siebzehn Abkommen und Absichtserklärungen über eine noch engere wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit werden presseöffentlich unterzeichnet.
Weiter wachsender Handel
China will im Energie- und Umweltbereich sowie nach zahlreichen Lebensmittelskandalen vom deutschen Know-How profitieren. Deutsche Konzerne wollen im Gegenzug auf dem riesigen chinesischen Markt noch bessere Geschäfte machen. So vereinbart der Autobauer VW mit dem chinesischen Partner SAIC den Aufbau einer Fabrik in Changsha, der Chemiekonzern BASF will sich in Xinjiang an zwei neuen Joint Ventures beteiligen. Siemens hat neue Kunden für Gasturbinen und in der Rohölverarbeitung gefunden und auch der Bau von vier Containerschiffen wird im Kanzleramt schriftlich festgehalten. China und Deutschland hätten inzwischen sehr enge und intensive Beziehungen, sagt die Bundeskanzlerin anschließend und erntet dafür Bestätigung von ihrem Gast aus Peking.
Doch so unproblematisch, wie es scheint, ist die Lage nicht. Das liegt daran, dass die EU-Kommission ein Anti-Dumping-Verfahren eingeleitet hat und milliardenschwere Strafzölle auf billige Solar-Module aus China erheben will. "Wir sind mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und lehnen sie entschieden ab", sagt der chinesische Premier in Berlin mit Nachdruck. Die Entscheidung der Kommission werde nicht nur Arbeitsplätze in China in Gefahr bringen und die Entwicklung der betroffenen Branchen beeinträchtigen. "Das wird auch die Entwicklung der Branchen in Europa in Gefahr bringen und die Interessen der europäischen Konsumenten und der Industrie." Was Li damit sagen will: Dann wird China seine Solar-Produkte eben in andere Länder verkaufen.
Komplizierte Situation
Viel Zeit bleibt nicht, um einen Kompromiss zu finden, bis zum 5. Juni muss es offiziell eine Lösung geben. Die Bundeskanzlerin spricht in Berlin von einer "komplizierten Situation". Die Europäische Kommission habe bestimmte Rechte. Protektionismus sei aber keine Antwort auf gegenseitige, gute Beziehungen in einer globalen, offenen Welt. "Deshalb wird Deutschland auch alles daran setzen, im Bereich des Handels die Konflikte, die wir zum Beispiel im Moment in der Solarbranche haben, oder gegebenenfalls in der Telekommunikationsbranche, durch möglichst viele Gespräche zu lösen", so Angela Merkel. Man dürfe nicht "in eine Art von Auseinandersetzung verfallen, die zum Schluss nur in gegenseitigen Zollererhebungen" ende. Davon halte die Bundesregierung nichts. Deutschland werde alles daran setzen, "dass wir in diesen Gesprächen wirklich vorankommen", verspricht die Kanzlerin.
Auf der Überholspur
Ihr Gast weiß das durchaus zu schätzen. "Ich würdige sehr ihre Haltung", bedankt sich Premier Li. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass sein Land den drohenden Strafzöllen einiges entgegenzusetzen hat. So wurde in China kürzlich bereits eine Anti-Dumping-Untersuchung zu Importen von Stahlrohren aus Europa eröffnet. Eine Drohung, die als solche auch verstanden werden soll. In Berlin betont Li jedoch auch, dass sein Land sehr an guten Beziehungen zur Europäischen Union interessiert sei. "Ich hoffe, dass China und die EU eines Tages bei einem Freihandelsabkommen einen größeren Schritt unternehmen können." Die deutsch-chinesischen Beziehungen könnten Vorbild sein, sie seien "auf der Überholspur" und für die Entwicklung Europas und der Welt wichtig.
Auch der Euro und die EU-Schuldenkrise sind in Berlin ein Thema. Li Keqiang erklärt, dass sein Land sich weiterhin dafür einsetzen will, den Euro stabil zu halten. Das sei nicht nur gut für Europa, sondern "auch eine gute Sache für Chinas eigene Entwicklung". China hält einen erheblichen Anteil seiner Devisenreserven in der europäischen Gemeinschaftswährung und hat sich stets für mehrere Leitwährungen neben dem Dollar ausgesprochen. Angela Merkel bedankt sich dafür. "Ich habe gesagt, dass wir sehr zufrieden sind, dass China durch die gesamte Zeit der Euro-Schuldenkrise den Euro immer als wichtige Währung akzeptiert und gesehen hat", so die Kanzlerin.
Von Berlin nach Meseberg
Deutschland ist das einzige EU-Land, das Li Kequiang bei seiner Antrittsreise besucht. Seine Route hatte ihn von Peking zunächst nach Indien, Pakistan und in die Schweiz geführt. Aus Bern kommend war er am Samstagabend (25.05.2013) in Berlin gelandet und hatte sich, so heißt es, im Hotel das Finale in der Fußball Champions League angeschaut.
Am Sonntagmorgen besuchte Li Potsdam und traf dort den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. In Berlin sprach er außer mit der Bundeskanzlerin auch mit Bundespräsident Joachim Gauck. Ein straffes Programm, das am Sonntagabend mit einem Essen mit der Bundeskanzlerin, Wirtschaftsvertretern und Kabinettsmitgliedern in Schloss Meseberg vor den Toren Berlins enden sollte. Am Montag stehen Gespräche mit SPD-Chef Sigmar Gabriel, Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Altkanzler Helmut Schmidt auf dem Programm.