Maaßen mischt mit
13. September 2018Theoretisch ist die Sache klar und einfach: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die 16 Landesämter sollen rechtzeitig Gefahren für Staat und Gesellschaft erkennen. Die Bezeichnung als "Frühwarnsystem", die dabei oft genannt wird, ist also durchaus zutreffend. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen (Artikelbild) benutzt sie gerne, wenn er über Links- oder Rechtsextremismus spricht, islamistischen Terrorismus oder Spionage ausländischer Staaten und Wirtschaftsunternehmen. In der alltäglichen Arbeit scheint es den Behörden aber mitunter schwer zu fallen, dem selbst formulierten Anspruch gerecht zu werden.
Maaßen höchstpersönlich lieferte dafür gerade das eklatanteste Beispiel, indem er öffentlichkeitswirksam die Echtheit eines Videos anzweifelte, auf dem anscheinend rassistische Übergriffe in Chemnitz zu sehen sind. Inzwischen relativierte er seine Äußerungen, für die er keine überzeugenden Belege liefern konnte. Seinem Dienstherrn, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), musste er zu Wochenbeginn einen Bericht vorlegen. Und am Mittwoch wollten die Bundestagsabgeordneten des Innenausschusses und des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKGr) wissen, was sich der BfV-Chef bei seinen umstrittenen Mutmaßungen gedacht hat.
Maaßen müsse wissen, "dass er politische Verwicklungen auslösen kann"
Die Ergebnisse der nicht-öffentlichen Sitzungen bewerteten die Teilnehmer sehr unterschiedlich. Der PKGr-Vorsitzende Armin Schuster (CDU) fand Maaßens Auftritt "überzeugend". Seine Motivation sei gewesen, für eine "Lageberuhigung" zu sorgen. Allerdings kritisierte Schuster die gewählte Form eines Interviews mit der Boulevard-Zeitung "Bild". Ein Behördenleiter müsse wissen, "dass er damit politische Verwicklungen auslösen kann". Dazu sei es dann auch gekommen.
Die Forderungen nach einem Rücktritt oder Rausschmiss des BfV-Chefs hält der Christdemokrat jedoch für "nicht verhältnismäßig", auch angesichts seiner "sehr guten Leistungen" in den letzten sechs Jahren. So lange amtiert Maaßen, womit er der dienstälteste Präsident einer deutschen Sicherheitsbehörde ist. Ob und wie lange er sich noch halten kann, ist eine ganz andere Frage. Sozialdemokrat Uli Grötsch, dessen Partei mit Angela Merkels CDU koaliert, hält das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden durch Maaßens Verhalten "nach wie vor für beschädigt".
Zweifel, "dass dieser Präsident noch sehr lange im Amt sein wird"
Der Linken-Abgeordnete André Hahn, zugleich stellvertretender PKGr-Vorsitzender, urteilte noch wesentlich schärfer: Man könne nicht sagen, dass Maaßen in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet habe. Er trage für eine "ganze Serie von Pannen und Skandalen" die Verantwortung. Hahn denkt dabei vor allem an das Versagen im Zusammenhang mit der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), deren Mordserie der Verfassungsschutz nicht verhindern konnte. Er glaube nicht, "dass dieser Präsident noch sehr lange im Amt sein wird".
Die Kontroverse über den höchsten Verfassungsschützer zeigt anschaulich, dass Person und Amt keine neutrale Instanz sein können - oder wollen. Kritiker werfen Maaßen schon lange vor, seine Rolle allzu großzügig zu interpretieren. Dass sich der Chef eines Geheimdienstes auch politisch in einem extremen Spannungsfeld bewegt, ergibt sich aber zwangsläufig aus seiner Aufgabe. Das Bild vom "Dienstleister für Demokratie" klingt dabei poetischer, als es im oft grauen, aber auch gefährlichen Alltag wirklich ist.
War das Interview politisch motiviert?
Das BfV mit seinen rund 3500 Mitarbeitern soll Deutschland vor allen möglichen in- und ausländischen Feinden schützen. Das gelingt der Behörde gemessen am hohen Bedrohungspotenzial vergleichsweise gut. Über die Gefährdungslage führen Maaßen und die Chefs der anderen Sicherheitsbehörden regelmäßig Gespräche im Kanzleramt. Dort werden die Aktivitäten aller Geheimdienste koordiniert. Deren Einschätzungen sind für die Bundesregierung von enormer Bedeutung. Und sie können jederzeit Anlass für politischen Streit sein - sogar innerhalb der Koalition aus Konservativen (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD).
In der aktuellen Debatte über die zumindest teilweise fremdenfeindlichen Vorfälle in Chemnitz stellte sich Innenminister Seehofer anfangs uneingeschränkt hinter Maaßen. Anders als die Bundeskanzlerin wollten beide keine "Hetzjagden" auf mutmaßliche Ausländer gesehen haben. Die Vermutung, es handele sich bei dieser Auseinandersetzung in Wirklichkeit um eine Fortsetzung des endlosen Asyl-Streits zwischen der CDU und ihrer bayrischen Schwesterpartei, scheint naheliegend zu sein. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage legitim, ob der Spitzenbeamte Maaßen seine Befugnisse politisch motiviert überschritten hat.
Ein Akt der Illoyalität gegenüber Angela Merkel
Grundsätzlich stehen die in der Regel auf Lebenszeit beschäftigten Beamten in einem besonderen Treue- und Loyalitätsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber: dem Staat. Dafür genießen sie Privilegien, die anderen Arbeitnehmern oder Selbstständigen vorenthalten sind. Sie müssen keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben und sind auf Dauer finanziell abgesichert. Solchen Garantien stehen Einschränkungen gegenüber, insbesondere das Streik-Verbot für Beamte. Zwar dürfen sie für ihre Anliegen demonstrieren, aber in politischen Fragen wird von ihnen Zurückhaltung und Mäßigung erwartet.
In dieser Disziplin gilt Maaßen nicht gerade als Musterknabe. Sein Agieren rund um die Ereignisse in Chemnitz lässt sich durchaus als illoyal gegenüber Merkel auffassen, die ausdrücklich von "Hetzjagden" in Chemnitz sprach. Dass die Bundeskanzlerin über Maaßens eigenwillige Darstellung verärgert ist, steht außer Frage. Selbst wenn sie wollte, entlassen kann sie den Präsidenten des Verfassungsschutzes aber nicht. Die Fach- und Dienstaufsicht über die Behörde hat Innenminister Seehofer. Der sagte nach der Sondersitzung des Innenausschusses, er sehe keinen Grund für personelle Konsequenzen.
Und noch ein Politikum: der Amri-Untersuchungsausschuss
Dennoch dürfte der Druck auf ihn hoch bleiben, zumal ihm weitere, massive Fehler vorgehalten werden. Nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause nimmt auch der Untersuchungsausschuss zum Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt 2016 seine Arbeit wieder auf. Zwölf Menschen wurden bei dem folgenschwersten islamistischen Anschlag in Deutschland getötet.
Schon länger steht der Vorwurf im Raum, der Verfassungsschutz habe einen Spitzel (V-Mann) im Umfeld des Attentäters Anis Amri gehabt. Maaßen hat das frühzeitig bestritten, wird aber aufgrund anderslautender Medienberichte von der Opposition der Lüge bezichtigt. Versuche, brisante Akten und V-Mann-Führer des Inlandsgeheimdienstes als Zeugen zu laden, schlugen bislang fehl. Die Linke will deshalb notfalls dagegen klagen. Aus einer politischen Affäre könnte also auch noch eine juristische werden.