Machtkampf in der Ukraine geht weiter
24. November 2004Der Chef der staatlichen Wahlkommission, Serhij Kiwalow, wandte sich am Mittwochabend (24.11.) in einer turbulenten Sitzung an die Kommissionsmitglieder und sagte, Janukowitsch habe 49,46 Prozent der Stimmen erhalten. Sein westlich-orientierter Widersacher, Oppositionsführer Viktor Juschtschenko, komme hingegen nur auf 46,61 Prozent.
Janukowitschs Anhänger stimmten daraufhin Jubelgesänge an und riefen immer wieder triumphierend seinen Namen. Die Oppositionellen um Juschtschenko, die zuvor wiederholt versucht hatten, die Bekanntgabe zu stoppen, schrien dagegen "Schande! Schande!". Juschtschenko forderte eine Wiederholung der Stichwahl um das Präsidentenamt und rief zu landesweiten Streiks auf. Verhandlungen mit den Machthabern schloss er aus. Es gebe keine Gespräche, weil der scheidende Präsident Leonid Kutschma sich weigere, den Wahlbetrug einzugestehen. Die Opposition wirft der Regierung massiven Wahlbetrug vor. Seit Tagen kommt es deswegen im ganzen Land zu Massendemonstrationen und Protestaktionen.
Internationale Kritik wird immer deutlicher
Die Bekanntgabe des Endergebnisses der Wahl von Sonntag war mit Spannung erwartet worden. Die Kommission verkündete Janukowitschs Sieg ohne sich von den heimischen und internationalen Protesten beeindrucken zu lassen. Kurz zuvor hatte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana festgestellt, bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag (21.11.) im Osten des Landes, der Hochburg des pro-russischen Regierungskandidaten Viktor Janukowitsch, die Stimmen "auf betrügerische Weise" gezählt worden seien
Der Spanier verband diese bisher deutlichste Kritik der EU mit einer unmissverständlichen Warnung an Kiew: Die Handhabung des Wahlstreits sei eine "Nagelprobe" für die künftigen Beziehungen der Ukraine zur EU, sagte er im Europaparlament in Brüssel. Partnerschaft könne sich nur entwickeln, wenn beide Partner die gleichen Werte teilten.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnte Kiew vor einem "nachhaltigen Schaden" für die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine; Europaparlamentarier forderten die Entsendung einer hochkarätigen EU-Mission in das osteuropäische Land. Gleichzeitig wurde der Ruf nach Sanktionen lauter.
Ukraine Thema auf EU-Russland Gipfel
Politischen Druck will die EU aber auch auf Russland ausüben, das seinen Favoriten Janukowitsch während des Wahlkampfs offen unterstützt hatte. Er werde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag (24.11.) beim EU-Russland-Gipfel in Den Haag "laut, klar und deutlich" sagen, was die EU von der Wahl halte, versprach Kommissionspräsident Barroso. Eindeutige Kritik an den Wahlen äußerten auch die USA. Nach den Worten von Außenminister Colin Powell wollen die Vereinigten Staaten das Wahlergebnis nicht anerkennen. Die Wahl habe keinen internationalen Standards entsprochen, sagte Powell am Mittwoch in Washington.
Erstmals hat auch Bundeskanzler Gerhard Schröder massive Wahlfälschungen in der Ukraine beklagt. Nach Angaben der Regierung teilte Schröder seine Sorge über die Entwicklung auch den Präsidenten Russlands und Polens, Wladimir Putin und Aleksander Kwasniewski, mit.
Demonstrationen halten an
Minuten nach der Bekanntgabe des umstrittenen Ergebnisses durch die Wahlkommission zogen tausende Anhänger von Oppositionsführer Juschtschenkos in Richtung Präsidentenpalast. Beobachter befürchteten eine Konfrontation zwischen Anhängern beider Lager, die sich in Kiew in Zeltlagern gegenüberstanden.
Bereits am Dienstag hat es Demonstrationen mit bis zu 300.000 Menschen gegeben. Oppositionsführer Juschtschenko war am Dienstagabend (23.11.2004) an der Spitze tausender Anhänger auf das schwer bewachte Präsidialamt in Kiew vor. Der Marsch stoppte erst an einer Sperre von etwa 500 schwer bewaffneten Polizisten vor dem Gebäude.
Am Dienstag hatte Juschtschenko auf Drängen seiner Partei den Amtseid des Präsidenten gesprochen. Allerdings waren bei der Sitzung der Abgeordneten nicht genügend Parlamentarier erschienen, um eine Beschlussfähigkeit zu erreichen. Wegen des Boykotts der regierungsnahen Abgeordneten waren nur 191 von insgesamt 450 Mandatsträgern anwesend. Für ein gültiges Votum ist eine einfache Mehrheit von 226 Stimmen notwendig. (stl)