Machtpoker um EU-Spitzenämter
28. Mai 2014Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will bis zur Sommerpause einen Entscheidung über den künftigen EU-Kommissionspräsidenten und die Besetzung weiterer europäischer Spitzenposten erreichen. Nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel erläuterte Merkel, Ratspräsident Herman Van Rompuy habe den Auftrag erhalten, mit dem neu gewählten EU-Parlament und mit den 28 Mitgliedsstaaten in "kameradschaftlichen Konsultationen" in den kommenden Wochen eine Einigung zu erzielen, wer Kommissionspräsident José Manuel Barroso nachfolgen soll.
Nach den Gesprächen des Belgiers werden die EU-Staats- und Regierungschefs dann einen Vorschlag für einen Kandidaten machen. Dieser muss vom Parlament mit absoluter Mehrheit bestätigt werden.
Merkel legt sich nicht fest
Eine eindeutige Festlegung auf den konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker vermied die Kanzlerin. "Es geht um die Arbeitsfähigkeit von Rat, Parlament und Kommission", sagte Merkel. "Wir wissen, dass keine Parteiengruppe alleine eine Mehrheit hat. Das heißt, es wird darum gehen, eine breite Mehrheit zu finden." Gleichwohl wies sie darauf hin, dass sie Juncker als Spitzenkandidaten unterstützt und dies auch nach dem Wahltag nicht vergessen habe. Ihr österreichischer Kollege Werner Faymann, ein Sozialdemokrat, sprach sich deutlich für den Luxemburger Konservativen aus. "Jean-Claude Juncker ist für mich Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten."
Vorbehalte gegen Juncker
Im Postenpoker um den Kommissionsvorsitz gibt es allerdings auch Vorbehalte gegen Juncker aus dem eigenen Lager. So unterstrich Ungarns rechtskonservativer Regierungschef Viktor Orban: "Unsere Haltung ist, dass es keine automatische Verbindung zwischen dem Wahlergebnis und der Nominierung gibt." Orban hatte bereits angekündigt, die Abgeordneten seiner Fidesz-Partei, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, würden den Luxemburger nicht unterstützen. Skeptisch zeigte sich auch Schwedens liberaler Regierungschef Fredrik Reinfeldt: "Wir haben die Idee zur Ernennung von Spitzenkandidaten nicht befürwortet."
Bedenken gegen Juncker hat auch der britische Premier David Cameron, dessen Partei zum konservativen Lager, aber nicht zur EVP-Fraktion gehört. Allerdings lehnt Cameron auch Junckers größten Konkurrenten, den deutschen Sozialdemokraten, Martin Schulz ab.
Mit Blick auf den Erfolg der rechtspopulistischen UKIP in Großbritannien und den Sieg des rechtsextremen Front National in Frankreich bei den Europawahlen forderten sowohl Cameron als auch Frankreichs Präsident Francois Hollande bei dem Treffen in Brüssel eine neue strategische Agenda der EU für mehr Wachstum und Wettbewerb. "Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist", meinte Cameron. Hollande sagte: "Wenn Frankreich so gewählt hat, mit einem von vier Wählern für die extreme Rechte (...), ja, dann gibt es ein Problem."
Kanzlerin Merkel wies anschließend darauf hin, es gebe eine große Übereinstimmung unter den EU-Ländern, dass die Themen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze sowie die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion in den Mittelpunkt der Arbeit der nächsten fünf Jahre gestellt werden sollten.
Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag stärkste Kraft mit 213 Sitzen. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze).
Rückendeckung aus dem Europaparlament
Aus dem Europaparlament bekam Juncker dagegen die Unterstützung der meisten Fraktionschefs. Sie schrieben in einer gemeinsamen Erklärung: "Der Kandidat der größten Gruppe, Juncker, wird als Erster versuchen, die nötige Mehrheit zu bilden." Auch sein Konkurrent Schulz ließ dem Luxemburger bei den nun anstehenden Sondierungsgesprächen den Vortritt.
Die europäischen Sozialdemokraten fordern für Schulz nicht mehr den Spitzenposten, sondern nur noch "eine starke Position" in einer von Juncker geführten EU-Kommission, wie deren Fraktionsvorsitzender Hannes Swoboda deutlich machte. Voraussetzung dafür sei, dass Juncker "mit einem guten Programm" komme, das neue Akzente setze.
se/wa (dpa, afp)