Macron profiliert sich mit Libyen
25. Juli 2017"Historischen Mut" hätten seine beiden Gesprächspartner bewiesen, erklärte der französische Staatspräsident nach dem kleinen Libyen-Gipfel, zu dem er heute geladen hatte. Gesprochen hatte er mit dem libyschen Ministerpräsident und Staatsoberhaupt Fajis al-Sarradsch, sowie mit General Chalifa Haftar, dem mächtigen Militärkommandanten des Landes.
Beide Männer gehören verschiedenen politischen Lagern an, ohne die eine Befriedung des seit Jahren nicht zur Ruhe kommenden Landes nicht möglich ist. Nun konnte Macron verkünden, dass beide Männer bereit seien, im kommenden Jahr Parlamentswahlen durchführen zu lassen.
Machten al-Sarradsch und al-Haftar ihre Ankündigung wahr, wäre das Pariser Treffen ein Durchbruch. Noch im Mai hatten sich die beiden in Abu Dhabi getroffen, sich aber nicht einmal auf ein gemeinsames Statement einigen können. Stattdessen gab jeder seine eigene Erklärung ab. Zwar erklärten sie auch anlässlich jenes Treffens, spätestens bis zum März 2018 Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden lassen zu wollen. Doch kaum waren beide aus Abu Dhabi abgereist, bekämpften sich die den beiden Kontrahenten nahe stehenden Gruppen mit bislang kaum gekannter Heftigkeit.
Tripolis contra Tobruk
Seit dem Bürgerkrieg des Jahres 2014 gibt es in Libyen zwei Regierungen: eine in Tripolis und eine in Tobruk, im Osten des Landes. 2015 einigten sich die beiden Lager auf einen Friedensvertrag, auf dessen Grundlage eine Einheitsregierung unter Fajis al-Sarradsch entstand. Die wird allerdings nicht von allen Politikern im Osten des Landes anerkannt. Diesen Gruppen steht General Haftar nahe.
Haftar ist ein ehemaliger Vertrauter des 2011 gestürzten und getöteten Machthaber Muammar Al Gaddafi, ging allerdings bereits Jahre vor der Revolution auf Distanz zu ihm. Er befehligt weiterhin ihm ergebene Truppen, mit denen er einerseits die ins Land einsickernden Dschihadisten bekämpft, andererseits aber die in Tobruk residierenden Politiker unterstützt. Diese sehen die Einheitsregierung in Tripolis nicht demokratisch legitimiert. Durch seine Erfolge im Kampf gegen bewaffnete Islamisten genießt Haftar das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung. Zugleich werden ihm Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten nachgesagt. Offen ist vor allem, wie er sich das Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Macht vorstellt.
"Von Waffen zerrissen"
Auf die Kontrolle des Militärs durch die Politik wollte Präsident Macron auch auf dem Pariser Treffen hinarbeiten. Zu diesem Zweck räumte er Haftar auch einen eigenen Gesprächstermin ein. Der dauerte zwar nur zehn Minuten, während al-Sarradsch eine dreiviertel Stunde mit dem französischen Staatschef sprach. Doch die Unterredung mit dem General hatte vor allem symbolische Bedeutung: Mit ihr dokumentierte Macron, dass er die Kräfteverhältnisse vor Ort zumindest symbolisch anerkennt.
"Haftar hat Geduld, er weiß, dass die Zeit für ihn spielt. Wenn er Wahlen für das kommende Jahr akzeptiert, hat er hinreichend Zeit, weiteres Terrain in Libyen zu gewinnen", erklärt der französische Politikwissenschaftler Jalel Harchaoui in der Zeitung Libération. "Libyen ist von Waffen zerrissen. Solange man die bewaffneten Kräfte nicht mit einbezieht, kommt man nicht weiter."
Schwere Menschenrechtsverletzungen
Eben deshalb versicherte Macron vor dem Treffen, er werde auch die Menschenrechte ansprechen. Das musste er schon darum tun, weil ein Haftar nahestehender Kampfverband, die Saiqa-Kräfte, wiederholt Dschihadisten hingerichtet haben sollen. In dieser Woche erschien ein Video, das mutmaßlich den Kommandanten dieser Gruppe, Mahmoud al-Warfali, dabei zeigt, wie er seinen Männern befiehlt, auf dem Boden kniende mutmaßliche Dschihadisten zu erschießen.
Europa und die Flüchtlinge
An einer Befriedung in Libyen hat Europa vor allem wegen der durch das Land reisenden Flüchtlinge größtes Interesse. Allein im Juni kamen rund 11.000 Menschen nach Italien, 80.000 waren es allein in der ersten Jahreshälfte 2017. Erst wenn in Libyen eine von allen Parteien und politischen Kräfte anerkannte Regierung an der Macht wäre, würde auch Europas Einfluss auf die Flüchtlingspolitik vor Ort zunehmen.
Der Weg dahin wird über Wahlen führen. Zwar hat es schon mehrere Wahlen gegeben, doch deren Ergebnisse wurden nicht von allen Seiten respektiert. Es gebe in Libyen keine Tradition freier Wahlen, erklärt der Libyen-Experte Andreas Dittmann vom geographischen Institut der Universität Gießen gegenüber der DW das Phänomen. Das unterscheide Libyen von seinen Nachbarländern.
"Wahlen hat es im modernen Libyen noch nie gegeben - weder während der Regierungszeit Gaddafis noch davor, als das Land zunächst eine italienische Kolonie und anschließend eine Monarchie war. Es gab keine Demokratie, die geübt worden wäre." Sollte es gelingen, dieses historische Versäumnis dank des heutigen Gesprächs zu überwinden, hätte sich Macron als außenpolitischer Vermittler ersten Ranges etabliert.