New Deal für Europa
11. Mai 2017Der ursprüngliche New Deal geht auf den demokratischen US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt zurück. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts während der schweren Wirtschaftskrise bekämpfte Roosevelt mit einem massiven Investitionsprogramm und weitreichenden Sozial- und Wirtschaftsreformen die Arbeitslosigkeit und stabilisierte die Lage allmählich wieder, wirtschaftlich aber auch politisch. Denn die Versuchung, das Heil im politischen Extremismus zu suchen, bestand damals durchaus.
Die Situation in Frankreich heute ist damit kaum vergleichbar. Und doch: Frankreich steckt in der Dauerkrise. Die Arbeitslosigkeit ist etwa doppelt so hoch wie in Deutschland, Frankreich fällt im internationalen Wettbewerb zurück und das Wachstum ist seit Jahren schwach, zieht erst in jüngster Zeit wieder an. Schließlich gelingt es Frankreich seit einem Jahrzehnt nicht mehr, die europäischen Defizitkriterien einzuhalten, während Deutschland inzwischen Überschüsse erwirtschaftet. Und was das Politische betrifft: Fast die Hälfte der Franzosen hatte sich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl für Kandidaten mit ausgesprochen globalisierungs- und EU-kritischen Zielen entschieden. Viele stimmten in der zweiten Runde nicht für Macron und sein Programm, sondern gegen Le Pen.
Macron will zuhause die Staatsquote und die Unternehmenssteuern senken sowie den Arbeitsmarkt liberalisieren. Mit einem New Deal hat das noch nichts zu tun. Der besteht in seinem zweiten großen Projekt, einem Investitionsprogramm für die gesamte Eurozone, das aus einem gemeinsamen Haushalt der Eurostaaten finanziert werden soll.
Schäuble pocht auf Regeln
Der Ausdruck New Deal für Europa fiel während eines Deutschland-Besuchs Macrons im März, also einige Wochen vor der Wahl. Doch was Macron im Sinn hat, hat er bereits vor zwei Jahren als Wirtschaftsminister zusammen mit seinem damaligen deutschen SPD-Amtskollegen und heutigen Außenminister Sigmar Gabriel in einem gemeinsamen Papier dargelegt. Die Eurozone sollte gestärkt werden durch ein gemeinsames Budget, "neue Exekutivbefugnisse" auf der Ebene des Euroraums, eine "Euro-Kammer" und einen "Euro-Kommissar". Ziel sei eine "Wirtschafts- und Sozialunion". Macron hat auch immer wieder Eurobonds, also gemeinsame Anleihen der Eurostaaten mit gemeinsamer Haftung, ins Spiel gebracht.
Und da hört der Spaß für den konservativen Teil der Berliner großen Koalition auf. Gemeinsamer Haushalt, gemeinsame Schulden, das klingt CDU-Politikern zu sehr nach einer Verlagerung der Verantwortung von Frankreich zum deutschen Steuerzahler. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gleich kühl reagiert: "Deutsche Unterstützung kann französische Politik natürlich nicht ersetzen." Eurobonds erteilte sie eine Absage. Finanzminister Wolfgang Schäuble ist zwar für eine Stärkung der Eurozone. Ihm geht es aber eher darum, fehlende Haushaltsdisziplin durchzusetzen. In einem Interview mit der italienischen Zeitung "La Repubblica" sagte er jetzt mit Blick auf Frankreich: "Der Gedanke ist einfach: Wenn wir Regeln schaffen, müssen wir diese auch anwenden." Und kürzlich hat er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gesagt: "Frankreich ist so groß und stark, dass es nicht in erster Linie darüber nachdenkt, wer ihm helfen kann." Mit anderen Worten: Unterstützung ja, aber Geld soll es nicht kosten.
Die Angst vor Le Pen als Druckmittel
Die Meinungen in der Politik und unter politischen Kommentatoren gehen stark auseinander. Die einen werfen der Bundesregierung Geiz vor, der sich noch rächen werde, die anderen sehen in Macrons Plan eine dreiste Umverteilung zulasten Deutschlands. Gregory Claes von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel glaubt, Macron werde schon aus taktischen Gründen zumindest die richtige Reihenfolge einhalten: "Er dürfte sich zunächst auf die innerfranzösischen Reformen konzentrieren und zeigen wollen, dass er sich an die Stabilitätsregeln halten will, um bei den europäischen Partnern wie Deutschland und den nordeuropäischen Ländern Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen." Vor der Bundestagswahl werde er sich kaum mit seinen europäischen Reformideen vorwagen.
Andererseits glaubt die Berliner Politologin Ulrike Guérot, dass Macron gegenüber Berlin ein Druckmittel in der Hand hat. In einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur sagte Guérot: "Er kann auf Großbritannien verweisen. Deutschland hat viel zu verlieren, wenn ein Land verrückt spielt. Macron könnte sagen: 'Wenn ihr mir nicht helft, werdet ihr es als nächstes mit Marine Le Pen zu tun haben'." Erpressung könnte aber auch nach hinten losgehen. Gerade jetzt im Bundestagswahlkampf könnten die Europaskeptiker neuen Auftrieb bekommen, sähe es danach aus, als wenn sich die Bundesregierung unter Druck setzen ließe.
Viele glauben, es stehe politisch noch viel mehr auf dem Spiel, als wirtschaftlich. Der New Deal in den USA hat mit dazu beigetragen, dass dort die Demokratie trotz der schweren Wirtschaftskrise bewahrt wurde. In Deutschland und anderen Ländern war das anders. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, der seit Jahrzehnten die Entwicklung verfolgt, meint: "Europa zerfällt. Emmanuel Macron ist die letzte Chance. Wir müssen etwas machen." Doch was genau, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.