Mafia-Paradies in Deutschland?
9. April 2014Am Ende einigte man sich auf einen Deal: Dreieinhalb sowie vier Jahre und drei Monate Haft müssen die Männer aus Sizilien verbüßen, entschied das Kölner Landgericht am Mittwoch (09.04.2014). Der Straftatbestand: Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt. Die vier geständigen Männer sollen den deutschen Staat und die Sozialkassen um sechs Millionen Euro betrogen haben. Mit Hilfe von 14 Scheinfirmen wurden anderen Bauunternehmen falsche Rechnungen ausgestellt. Diese konnten die Scheinrechnungen dann dem Finanzamt vorlegen, um weniger Steuern zu bezahlen.
Das Medieninteresse an dem Urteil war groß, denn hinter den Machenschaften der Männer wurde System vermutet - das der Mafia. Vom "Baumafia"-Prozess war deshalb die Rede. Aus Sicht der Justiz ist diese Behauptung jedoch "unscharf", erklärt Landgerichts-Sprecher Achim Hengstenberg der DW nach der Urteilsverkündung. Eine Verbindung zur Mafia konnte nicht gefunden werden. Auch "sonstige Verhaltensweisen", die üblicherweise mit der Mafia einher gehen, hätten keine Rolle gespielt, erklärt Hengstenberg.
"Letztlich ist es fast enttäuschend, dass da ein ganzes System aus Strohmann-Firmen gebastelt wurde und so geringe Haftstrafen herausgekommen sind", sagt Anna Neifer, Journalistin und Mit-Autorin der ARD-Doku "Vorsicht Mafia - Wie kriminelle Banden Deutschland bedrohen" der DW. Für ihren Film, der am Montag im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, hatte sie auch den Kölner Prozess intensiv verfolgt und gemeinsam mit Kollegen vom WDR, "Spiegel online" und der Funke-Mediengruppe recherchiert. "Den Unterlagen zufolge, die wir intensiv geprüft haben, gibt es sehr wohl Hinweise darauf, dass einige Verurteilte Kontakte zu einem ehemaligen Mafioso hatten." Für sie war das Kölner Urteil dennoch zu erwarten. "Ganz klar, es gab diese Verabredung, um den Prozess zu verkürzen."
Mafia als globales Problem
Mafia in Deutschland: Das galt für lange Zeit als undenkbar. Doch die Zeiten haben sich geändert, sind sich Experten sicher. "Die Mafia ist schon lange kein spezifisches, nur in Italien auftretendes Phänomen mehr, sondern mittlerweile ein globales, transnationales Problem", sagt André Schulz, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). "Wurde Deutschland lange Zeit nur als Ruhe- und Rückzugsraum der italienischen Mafia betrachtet, wissen wir zwischenzeitlich, dass die verschiedenen Mafia-Gruppierungen bei uns äußerst aktiv ihren Geschäften nachgehen, und das fast ungestört." Ihre Betätigungsfelder laut BDK: Rauschgift- und Waffenhandel, verstärkt auch Bauwesen, Bankbereich und Glückspiel.
"Mafiosi beteiligen sich - als legale Unternehmer getarnt - an unserem Wirtschaftsleben und durchdringen den öffentlichen Sektor, indem sie sich beispielsweise an Ausschreibungen, vor allem in der Bauwirtschaft beteiligen und mit Dumpingangeboten die legale Konkurrenz ausstechen", sagt Schulz. Dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen liegt laut Medienberichten ein Papier vor, wonach die italienische Mafia im Baugewerbe Nordrhein-Westfalens kräftig mitmischt. "Es gibt hierzulande keine einzige Großbaustelle, an der die Mafia nicht verdient", wird aus dem Bericht zitiert, dessen Existenz das Landeskriminalamt weder bestätigt noch dementiert.
Einem vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) zufolge leben mindestens 460 mutmaßliche Mafiosi in der Bundesrepublik, schreibt auch "Spiegel Online". Davon gehören mehr als die Hälfte der kalabrischen 'Ndrangheta an, 88 zur Camorra aus Neapel, 77 zur sizilianischen Cosa Nostra und 14 zu den apulischen Clans. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, sagte dem Magazin, es gebe kaum ein Land, in dem es der Mafia so leicht gemacht werde wie in Deutschland.
Verleugnete Existenz
"Das größte Problem bei dem Thema in Deutschland ist, dass die Deutschen immer sagen: Wir haben gar keine Mafia", sagt Journalist Marko Rösseler, der ebenfalls an der Mafia-Doku mitgewirkt hatte, dem WDR. Rösseler und seine Kollegen recherchierten in beiden Ländern, sprachen mit Staatsanwälten und Ermittlern. Die Recherchen in Italien verliefen anders als in der Bundesrepublik. "Man muss sagen, dass die Menschen dort viel couragierter öffentlich über die Mafia reden oder sie gar bekämpfen, als es in Deutschland der Fall ist.“
Deutschland macht es mafiösen Strukturen einfach, so die Botschaft der Protagonisten. "In Deutschland kann die Mafia nahezu ungestört agieren", sagt Roberto Scarpinato, Staatsanwalt in Palermo im Film. Journalist Rösseler macht dafür auch die Rechtssprechung verantwortlich. Während in Italien bereits jemand verhaftet werden kann, der in Kontakt mit einer Mafia-Organisation steht, könnten in Deutschland sogar nachweisliche Mitglieder einer italienischen Mafia-Organisation unbehelligt bleiben, sagt der Autor dem WDR. "Die passende Gesetzgebung fehlt“, sagt auch Autorin Neifer. "Italienische und deutsche Behörden sollten stärker zusammen arbeiten."
Weniger Kriminalbeamten
Für den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, hängt die schleppende Aufklärung von organisierter Kriminalität auch mit der Personalpolitik der Polizei zusammen. "Wir erleben seit vielen Jahren Personalabbau", erklärt er der DW. Legitimiert wird dies auch durch die rückläufigen Zahlen einer Kriminalitätsstatistik, die solche Fälle nicht richtig ausweise. "Politisch Verantwortliche sind sich im Grunde genommen gar nicht bewusst darüber, dass wir solche kriminellen Strukturen hier haben und dafür auch Personal benötigen, um das auch ausreichend bearbeiten zu können.“ Zusätzlich flossen viele Stellen ab - in Richtung Terrorbekämpfung. "Insofern drückt gerade in diesen Bereichen die Not", so Malchow. "Aber: Es ist politisch noch nicht so wirklich angekommen und wird nicht so unterstützt, wie es eigentlich notwendig wäre, weil man auch keine schnellen Erfolge vorweisen kann."