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"Urteile bewegen Bangladesch"

Ana Lehmann16. Juli 2013

In Bangladesch sind wieder ranghohe Islamisten verurteilt worden. Gewaltsame Proteste begleiteten die Urteile. Dem Land stehen turbulente Zeiten bevor, sagt Experte Henrik Maihack.

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Henrik Maihack, Bangladesch-Experte bei der Friedrich Ebert Stifung. Er hat uns die Rechte zur Veröffentlichung mit der Übersendung des Fotos erteilt.
Henrik Maihack, Bangladesch-Experte bei der Friedrich Ebert Stifung.Bild: Friedrich-Ebert-Stiftung

Ali Ahsan Mohammad Mujahid, Generalsekretär der zweitgrößten Oppositionspartei Bangladeschs, der islamistischen Jamaat-e-Islami, wurde wegen Entführung und des Mordes während des Unabhängigkeitskrieges 1971 gegen Pakistan zum Tode verurteilt. Kurz zuvor war der auch der 90-jährige Ghulam Azam wurde wegen Mord und Folter verurteilt worden, er erhielt aufgrund seines hohen Alters "nur" 90 Jahre Gefängnis. Das Tribunal zur Aufarbeitung von Gräueltaten während des Krieges (ICT) hat damit bereits sechs Urteile gegen Islamistenführer ausgesprochen. Vier von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Auf die Urteile reagierte die Jamaat-e-Islami landesweit mit gewaltsamen Protesten. Auch im Umfeld der jüngsten Urteile kam es zu Ausschreitungen.

Deutsche Welle: Wogegen richtet sich der Protest der Islamisten?

Henrik Maihack: Die seit Jahresanfang immer wieder ausbrechenden Proteste richten sich gegen das Kriegsverbrechertribunal und dessen Urteile gegen ehemalige und amtierende Spitzenpolitiker der Jamaat-e-Islami. Nun wurden sie erneut durch die Verurteilung von zwei ranghohen Islamisten ausgelöst. Ghulam Azam zum Beispiel wird vorgeworfen,, während des Unabhängigkeitskrieges 1971 paramilitärische Einheiten für die pakistanische Armee gegründet zu haben, die unter der Führung der Jamaat-e-Islami mit brutalen Mitteln gegen Unabhängigkeitskämpfer und Zivilbevölkerung vorgingen. Das Tribunal bezeichnete Azam in seinem Urteil als "Mastermind" hinter den Kriegsverbrechen und als Symbol der Gegner eines unabhängigen Bangladesch. Bei der Urteilsverkündung gaben die Richter an, sie hätten nur aufgrund des hohen Alters des Angeklagten von der Verhängung der Todestrafe abgesehen.

Was wollen die Islamisten erreichen?

Die Jamaat-e-Islami fordert die Rücknahme des Urteils. Sie verlangt die Freilassung von Ghulam Azam und aller anderen vier bereits verurteilten Jamaat-e-Islami Spitzenpolitiker sowie aller weiteren Angeklagten. Die JI betrachtet die Urteile des Kriegsverbrechertribunals als Verschwörung der Regierung. Sie beschuldigt die Regierungspartei Awami League, das Tribunal für die Ausschaltung der islamistischen Partei zu nutzen. Damit wolle sie ihre eigenen Wahlchancen in den spätestens Anfang 2014 anstehenden Parlamentswahlen erhöhen. Bis Ende 2006 war die Jamaat-e-Islami als wichtigster Koalitionspartner der heute größten Oppositionspartei BNP in Regierungsverantwortung.

Gleichzeitig protestiert ein urbanes Bündnis von säkular orientierten Studenten erneut in Dhaka. Sie fordern die Todesstrafe für Ghulam Azam und protestieren gegen ein ihren Augen zu mildes Urteil. Diese sogenannte Shabagh-Bewegung fürchtet die Freilassung und Rückkehr einiger der unter Anklage stehenden bzw. bereits verurteilten Jamaat-e-Islami-Politiker in Regierungsämter, falls sich das Bündnis aus BNP und Jamaat-e-Islami in den nächsten Wahlen durchsetzen sollte.

Was erwartet die Gesellschaft von dem Tribunal? Und wie steht sie zu den Ausschreitungen der Islamisten?

Die Mehrheit der Gesellschaft befürwortet die Durchführung des Tribunals und insbesondere die Verhängung von Todesurteilen. Die Erinnerungen an die Gräueltaten der pakistanischer Armee im Bündnis mit Jamaat-e-Islami-geführten Paramilitärs während des Krieges 1971 sind noch lebendig. Dass die frühere Regierung unter der BNP bekannte Kriegsverbrecher zuletzt sogar mit Ministerposten ausstattet hatte, sorgte für Unverständnis und Wut in großen Teilen der Bevölkerung. Eine Aufarbeitung dieser Taten war und bleibt notwendig. Viele meinen, dass nur bei der Verhängung von Todesstrafen garantiert wäre, dass die Kriegsverbrecher nicht zukünftig wieder politische Ämter übernehmen.

Dennoch gibt es auch andere Stimmen, die der Argumentation der Jamaat-e-Islami folgen. Sie brandmarken das Tribunal und die Proteste von säkularen Befürwortern harter Strafen als "unislamisch". Seit Jahresanfang gelingt es der gesamten Opposition zunehmend erfolgreich, von Sachthemen und damit auch von einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Prozess abzulenken. Die Oppositionsparteien, angeführt von der konservativen BNP, würden von einer Wahl profitieren, die zu einer Abstimmung über das Verhältnis der einzelnen Parteien zum Islam stilisiert wird.

Allerdings erreichte die Jamaat-e-Islami in den letzten beiden nationalen Wahlen 2001 und 2008 jeweils weniger als fünf Prozent. Dies ist ein Zeichen für die moderate politische Haltung der Mehrheit der Menschen in Bangladesch.

Was bedeuten die Auseinandersetzungen auf politischer Ebene?

Vor den Wahlen wird die Regierungspartei zunehmend nervös. Sie musste kürzlich bei den mit Spannung erwarteten Bürgermeisterwahlen in fünf Großstädten des Landes empfindliche Niederlagen hinnehmen. Diese Wahlen galten als Test für die Stimmung im Land vor den Wahlen. Korruptionsaffären auf nationaler Ebene waren ein Grund für die Niederlage der Awami League-Kandidaten.

Gleichzeitig gelingt es einer fundamentalistischen Bewegung aus dem Umfeld privater Koranschulen offenbar zunehmend erfolgreich, Wähler für die Opposition zu mobilisieren, indem sie der (sich als säkular verstehenden) Regierung "Anti-Islamismus" vorwirft. Von dem Vorwurf des Anti-Islamismus gegenüber der Regierung profitieren die moderat-islamische BNP und die islamistische Jamaat-e-Islami.

Wie geht es weiter, sind mehr Proteste zu erwarten – auch im Vorfeld der Wahlen?

Weitere gewaltsame Proteste vor den Wahlen sind absehbar. Zum einen stehen noch weitere Urteile des Tribunals aus, in deren Folge Ausschreitungen zu erwarten sind. Zum anderen haben sich Regierung und Opposition bisher nicht auf einen Modus zur Durchführung der Wahlen einigen können. Seit 1991 wurden Wahlen in Bangladesch von einer neutralen Übergangsregierung durchgeführt. Diese Regelung strich die Awami League 2011 aus der Verfassung. Die Opposition traut der Regierung bzw. der Wahlkommission keine freien und fairen Wahlen zu.

Die Jamaat-e-Islami wird bei weiteren Urteilen gegen ihre Parteispitze zu Protesten aufrufen; die BNP hat Großproteste angekündigt, um auf die Einsetzung einer neutralen Übergangsregierung zu drängen. Sollte es nicht vorher zu einem konstruktiven Dialog zwischen Regierung und Opposition kommen, ist politische Gewalt in Bangladesch in der zweiten Jahreshälfte leider sehr wahrscheinlich.

Henrik Maihack ist Leiter des Büros der Friedrich Ebert Stifung in Dhaka, Bangladesch, und Autor der kürzlich erschienenen FES-Analyse "Ein Kampf um Identität – Bangladesch vor den Wahlen".