Mainz trauert, mahnt und macht weiter
9. Juni 2018Die Opferlichter im Mainzer Dom sind aufgebraucht. Andächtige Besucher, die für Susanna eine Kerze anzünden wollen, finden keinen Nachschub mehr. Die Kerzen brennen, viele halten vor dem Lichtermeer einen Moment lang inne und senken den Blick.
Während im Dom die Opferlichter flackern, geht das Leben auf dem Marktplatz seinen Gang. Hunderte Besucher decken sich mit frischem Obst und Gemüse ein, erfrischen sich mit einer Weinschorle am Winzerstand oder genießen in den zahlreichen Cafes die Sommerfrische.
Doch mitten in der idyllischen Sommerfrische flackern immer wieder Momente der Irritation und Trauer um die 14- jährige Susanna auf. Ihre Leiche war am vergangenen Mittwoch in einem Waldstück in dem Wiesbadener Stadtteil Erbenheim gefunden worden. Der tatverdächtige irakische Aslybewerber Ali B. soll nach Angaben eines kurdischen Nachrichtensenders die Tat inzwischen gestanden haben.
Auf der Suche nach Trost
"Trauer in Mainz", lautet der Aufmacher der Mainzer "Allgemeinen Zeitung", die ihre gesamte Berichterstattung zu Susanna am Rande des Marktplatzes in ihre Schaukästen gehängt hat. Menschen kleben an den Scheiben, schütteln den Kopf, immer wieder.
"Dieser Tod hat viele erschüttert", sagt Christa Blum. Die Ärztin im Ruhestand sagt, Mainz sei eigentlich eine feierfreudige Stadt. Aber jetzt verschärfe sich die Diskussion und Ängste und Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen nähmen zu.
Gleich zwei Kundgebungen greifen am Samstag diese Ängste auf. Auf der Mahnwache der AfD fordert Uwe Junge, Fraktionschef der AfD im Landtag Rheinland-Pfalz, die "Asylgesetze vorübergehend auszusetzen". Die Befugnisse von Justiz und Polizei müssten ausgeweitet werden, erklärte Junge vor rund 75 AfD-Anhängern während der Mahnwache.
Eine Teilnehmerin, die aus dem hessischen Heppenheim angereist ist, sagt, sie hätte sich gewünscht dass Ali B. im Irak geblieben und dort auch verurteilt worden wäre. "Hier bei uns kommt er doch sowieso nach ein oder zwei Jahren auf Bewährung wieder raus", meint sie.
Bei der alternativen Versammlung "Trauer statt Hass" der "Gutmenschlichen Aktion Mainz" ringen insbesondere viele junge Menschen um die richtigen Worte. "Lasst uns aus der gemeinsamen Trauer Kraft schöpfen", appelliert Barbara Kluba an ihre Zuhörer. Die Abiturientin aus Alzey beschwört die Teilnehmer: "Hass mit Hass zu bekämpfen hat noch nie jemandem geholfen."
Demos im Miniformat
Etwas verloren stehen die politisch engagierten Schüler und Studenten auf dem Petersplatz, direkt vor der Flüchtlingsunterkunft in Mainz. Wie die AfD haben auch sie ihre Kundgebungen auf drei Tage, von Samstag bis Montag, verteilt. "Wir wollen nicht, dass Trauerende nur zur Mahnwache der AfD gehen können", erläutert Kluba.
Ihre Mitstreiterin Barbara Helfrich von der Organisation "Solidarität grenzenlos" fügt hinzu: "Auch Flüchtlinge sind Mütter und Väter. Es ist absurd, dass man betonen muss, dass sie genauso leiden wie wir."
Schweigen, Mahnen, Trauern: In Mainz ist längst die politische Polarisierung eingezogen. Am Fundort der Leiche von Susanna in Erbenheim steht die bittere Botschaft auf einem Holzkreuz in nur drei Worten: "Opfer der Toleranz".
Ruhe vor dem Sturm?
Wie sehr diese Worte schmerzen, zeigt Wolfgang Reinsch (SPD), Ortsvorsteher im Wiesbadener Stadtteil Erbenheim. "Solche Dinge können wir nicht hundertprozentig verhindern. Sowohl, dass sie irgendwann passieren, als auch wie sie dann interpretiert werden", sagt er gegenüber der "Allgemeinen Zeitung".
Ärztin Christa Blum ist nachdenklich und niedergeschlagen. "Mich erschüttert, wie sich die Diskussion über Flüchtlinge verändert hat. Wenn heute 50 Menschen im Mittelmeer ertrinken, scheint das niemanden mehr zu interessieren."
Schon seit mehreren Monaten gibt es in Mainz regelmäßig Demos von rechten Bündnissen. "Der Mord an dem 14-jährigen Mädchen ist eine Steilvorlage", sagt eine ältere Dame am Rande der Kundgebung "Trauer statt Hass", die ihren Namen nicht nennen möchte. "Ich hätte gerne meine Ruhe."
Noch ist es in Mainz ruhig - trotz massiver Polizeipräsenz bei den Kundgebungen politischer Gegner. Trotz der Trauer um die ermordete Susanna und das Beileid für ihre Familienangehörigen.
Doch unter der ruhigen Fassade gärt es: "2019 ist Landtagswahl. Da wird es für die hohen Herren hoffentlich eine Quittung geben", zitiert die Allgemeine Zeitung einen Anwohner aus Erbenbach. SPD-Ortsvorsteher Reinsch hofft, dass die politische Instrumentalisierung an seinem Stadtteil vorbei geht: "Hoffentlich wird das hier kein zweites Kandel". Dort war ein 15-jähriges Mädchen von ihrem ehemaligen Freund, einem Flüchtling aus Afghanistan, erstochen worden. Danach fanden zahlreiche Demonstrationen statt, zu denen rechte Gruppierungen aufgerufen hatten.