Malaysia: Kritische Presse unerwünscht
10. April 2016In Malaysia ist Zulkiflee Anwar Haque äußerst populär, auch wenn ihn die meisten vor allem unter seinem Künstlernamen "Zunar" kennen. Mit Stift und Papier verspottet Zunar vor allem Ministerpräsident Najib Razak und seine seit über sechzig Jahren regierende Partei UMNO. Er kritisiert Parteienfilz, Korruption und Wahlfälschungen. Damit ist der bekannteste Karikaturist des Landes der Staatsführung schon länger ein Dorn im Auge. Schon Anfang 2015 stürmten Dutzende Polizisten das Haus des 52-Jährigen – wegen "Gefährdung der öffentlichen Ordnung". Er wurde jedoch nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Derzeit steht Zunar erneut vor Gericht. Mehrfach hatte der Zeichner angedeutet, dass die Regierung die Justiz in seinem Land bevormunde. In jüngster Zeit hatte er vor allem Karikaturen gezeichnet, die die Verwicklung von Ministerpräsident Razak in einen der größten Finanzskandale in der Geschichte Südostasiens aufs Korn genommen hatten.
Verschwundene Milliarden – unerwünschte Berichterstattung
Dabei geht es um dubiose Transaktionen des staatlichen malaysischen Investmentfonds 1MDB. Rund 680 Millionen US-Dollar sollen direkt aus dem Fonds auf Privatkonten des Ministerpräsidenten geflossen sein. Später hieß es, das Geld sei eine private Wahlkampfspende der saudischen Königsfamilie an Razak gewesen. 620 Millionen Dollar seien davon allerdings nicht gebraucht und zurückgezahlt worden. Was aus den restlichen 60 Millionen wurde, ist bislang unbekannt. Medienberichten zufolge könnte das Geld aber auch einen ganz anderen Ursprung haben. Demnach gebe es Hinweise, dass bei einem Joint Venture zwischen 1MDB und dem saudi-arabischen Öl-Unternehmen PetroSaudi Gelder in Höhe von rund 700 Millionen Dollar veruntreut wurden. Beide Unternehmen wiesen die Anschuldigungen zurück. Mittlerweile wurde bekannt, dass mindestens weitere 2,4 Milliarden US-Dollar auf mysteriöse Weise aus dem Staatsfonds verschwanden. Zudem soll Ministerpräsident Razak insgesamt bislang mehr als 15 Millionen Dollar für Schmuck, Autos und andere Luxusgüter ausgegeben haben. Jüngst tauchte dann auch noch sein Sohn Mohd Nazifuddin bin Mohd Najib in den "Panama Papers" auf – als Direktor zweier Briefkastenfirmen mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln.
Ministerpräsident Razak ist durch die Enthüllungen stark in Bedrängnis geraten. Er steht der Regierungspartei UMNO vor, die das Land seit 62 Jahren ununterbrochen regiert. Doch die Macht der UMNO bröckelt. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2013 reichte es für die von ihr angeführte Koalition nur noch knapp für eine Mehrheit. Im Zuge des 1MDB-Skandals kam auch heraus, dass während des Wahlkampfs Gelder aus dem Investmentfonds abgezweigt wurden, um Schulen in zwei besonders umkämpften Provinzen zu bauen. Die Regierung reagierte äußerst ungehalten auf entsprechende Veröffentlichungen im Zusammenhang mit dem 1MDB-Skandal – und versucht, jegliche kritische Berichterstattung schon im Keim zu ersticken.
Kampf gegen "aufrührerische" Journalisten
Bei ihrem Vorgehen gegen die Presse beruft sich die malaysische Regierung vor allem auf ein Gesetz: den so genannten "Sedition Act" aus dem Jahr 1948. Dieses Gesetz, das noch von der britischen Kolonialregierung erlassen wurde, verbietet jeglichen öffentlichen Diskurs mit "aufrührerischer" Tendenz. Vor allem Kritik an der malaysischen Regierung kann damit verfolgt werden. Auch Karikaturist Zunar steht vor Gericht, weil er in mehreren Fällen gegen den "Sedition Act" verstoßen haben soll. Doch ist er derzeit beileibe nicht der einzige, der den Bannstrahl der malaysischen Justiz zu spüren bekommt. "In den letzten Monaten gab es vermehrt Fälle, in denen seitens der malaysischen Behörden versucht wurde, eine unabhängige Berichterstattung über innenpolitische Vorfälle zu beschränken", kritisiert etwa die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler. "Gezielt wurden Journalisten und Privatpersonen, die sich kritisch gegenüber der Regierung geäußert hatten, durch polizeiliche Befragungen und willkürliche Verhaftungen eingeschüchtert."
"The Malaysian Insider", Malaysias größte unabhängige Internetzeitung, wurde von den Behörden ohne Angaben von Gründen geblockt. Zuvor hatte die Redaktion sich geweigert, einen Artikel zu löschen, der die Verstrickungen Razaks in den 1MDB-Skandal aufzeigte. Nach drei Wochen musste die Online-Zeitung aufgeben. Weil die Seite geblockt war, fielen die Werbeeinnahmen aus, und das Internetportal konnte seine Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Gesperrt wurde auch die Webseite "Sarawak Report", die von London aus unabhängige Nachrichten über Malaysia verbreitet und ebenfalls über den 1MDB-Skandal berichtete. Gegen ihren Chefredakteur wurde in Malaysia Haftbefehl erlassen. "Malaysiakini", eine dritte unabhängige News-Seite, wurde mehrfach von der malaysischen Justiz unter Druck gesetzt, ihre anonymen Quellen offenzulegen. Offiziellen malaysischen Angaben zufolge sind mittlerweile über 50 malaysische Webseiten geblockt worden, weil sie "aufrührerische oder nicht verifizierte Behauptungen" verbreiteten. Auch zwei australische Journalisten wurden zeitweise festgenommen und danach des Landes verwiesen, nachdem sie Ministerpräsident Razak unbequeme Fragen über den Verbleib der Gelder aus dem Staatsfonds gestellt hatten.
Malaysias zweigeteilte Medienlandschaft
In den vergangenen Jahren hat sich Malaysias Medienlandschaft immer stärker polarisiert. Während Radio, Fernsehen und Presse stark reguliert sind und weitestgehend Informationen verbreiten, die im Einklang mit der malaysischen Regierung stehen, wurden in der Vergangenheit immer mehr unabhängige Onlineportale gegründet – von kritischen Exil-Malaysiern, aber auch im Land selbst. "Immer mehr Malaysier wenden sich von den Staatsmedien ab und suchen im Internet nach unabhängigen Nachrichten", schreibt Chefredakteur Jahabar Sadiq in einem Statement zur Schließung seines "Malaysian Insiders": "Wir wurden zu frei für die Regierung, nachdem diese feststellen musste, dass ihre 'Wahrheit' immer mehr zur Zielscheibe für Hohn und Spott geworden war."
Hohn und Spott – das sind auch die Markenzeichen des malaysischen Karikaturisten Zunar. Immer wieder kritisierte er, sein Heimatland sei ein Polizeistaat, Presse, Justiz, Sicherheits- und Antikorruptionsbehörde arbeiteten nicht unabhängig. Zunar hat sich auch durch wiederholte Verhaftungen, Polizeirazzien und Einschüchterungsversuche nicht von seiner Arbeit abbringen lassen. Jetzt drohen ihm wegen "Anstachelung zum Aufruhr" in neun Fällen bis zu 43 Jahre Haft.