"Die Wahrheit wird siegen"
21. August 2018Am Montag hat das malische Verfassungsgericht die amtlichen Wahlergebnisse bestätigt: Ibrahim Boubacar Keïta bleibt damit als Präsident im Amt. Er bekam 67,2 Prozent der Stimmen. Auf seinen Herausforderer, den ehemaligen Finanzminister Soumaïla Cissé, entfielen rund 32,8 Prozent.
DW: Offiziell sind Sie Finalist der zweiten Runde der Präsidentenwahlen. Nach Ihren eigenen Angaben sind Sie der neu gewählte Präsident Malis. Welchen Handlungsspielraum haben Sie in den nächsten Stunden und Tagen?
Soumaïla Cissé: Ich glaube, die Wahrheit siegt immer. Wir haben eine Wahl gesehen, die sehr schlecht verlaufen ist. Bereits in der ersten Runde haben alle Kandidaten Betrug angeprangert. Wir wollten retten, was übrig blieb, in der Hoffnung, dass die andere Seite (das Lager des amtierenden Präsidenten, Anm. d. Red.) sich zusammenreißt und sich um Transparenz bemüht. Leider haben sie trotzdem weiter betrogen, denn das hat ja im ersten Wahlgang auch geklappt.
Das haben wir uns dieses Mal nicht gefallen lassen. Wir haben den Betrug offen gelegt. Und ich denke, dass die gesamte internationale Gemeinschaft, alle, die nach Mali gekommen sind, wissen, dass es Betrug gegeben hat und dass der Präsident - wenn er im Amt bleibt - sein Amt unter falschen Voraussetzungen bekommen hat. Wir haben unsere Zahlen der Öffentlichkeit, der nationalen und internationalen Presse präsentiert.
In einem Wahllokal, das zehn Stunden lang geöffnet ist, können (aus zeitlichen und organisatorischen Gründen, Anm. d. Red.) nicht einmal 250 Menschen zur Wahl gehen, geschweige denn 700 oder 800 Menschen - wie es in einigen Wahllokalen der Fall gewesen sein soll. Wenn die Zahl an Wählern oder Stimmzetteln eine bestimmte Schwelle überschreitet, können wir davon ausgehen, dass die Urnen auf unrechtmäßigem Weg zusätzlich gefüllt worden sind. Also haben wir das aus den offiziellen Ergebnissen herausgenommen, haben die Berechnungen entsprechend durchgeführt und nach diesem Ergebnis habe ich diese Wahl mit 51,75 Prozent der Stimmen gewonnen. Wir können also mit Recht sagen, dass wir diese Wahl gewonnen haben. Jetzt geht es darum, die Mehrheit der Malier zu überzeugen.
Und wenn Ihr Ersuchen nicht berücksichtigt wird, so wie nach der ersten Runde der Präsidentenwahl, was werden Sie tun?
Wir werden uns etwas einfallen lassen. Ich glaube nicht, dass wir in diesem Kampf allein sind. Wir sehen ja, wie junge Menschen außerhalb des Landes, aber auch bei uns auf außergewöhnliche Weise mobilisiert werden. Es ist offensichtlich, dass dahinter eine Volksbewegung steckt. Ich glaube, dass das malische Volk die Wahrheit fühlt und die Wahrheit kennt.
Einige sagen, Sie hätten angesichts des Ausmaßes des Wahlbetrugs, den Sie anprangern, gar nicht erst in die Stichwahl gehen dürfen. Wie reagieren Sie darauf?
Wir dürfen nicht aufgeben. Wenn ich diese Haltung eingenommen hätte, hätte ich damit dem Präsidenten IBK (Ibrahim Boubacar Keïta, Anm. d. Red.) einen Blankoscheck für die nächsten fünf Jahre ausgestellt - ohne irgendeine Chance auf eine Reform. Unsere Demokratie würde sich in einer Art Fatalismus verfangen, wenn wir einfach sagen: 'Ach, derjenige, der an der Macht ist, wird sowieso dort bleiben, auch wenn wir wissen, dass er betrogen hat. Also machen wir einfach weiter, ist ja nicht so schlimm'.
Ich denke, es braucht ein paar mutige Leute, die die Sache in die Hand nehmen und die sagen: 'Wir sind nicht einverstanden'. Und die sich dafür einsetzen, etwas zu verändern. Wir schaffen das, wenn wir diese gestohlene Wahl nicht akzeptieren. Denn eine der ersten Reformen, die ich durchführen werde, ist die Reform des Wahlsystems, um sicherstellen, dass die Wahlen von unabhängigen Personen, von unabhängigen Institutionen organisiert werden.
Aber die Regierung hält dagegen, dass Sie ja selbst an der Ausarbeitung des neuen Wahlgesetzes beteiligt waren.
Nein. Wir sind ja in der Minderheit. Wir sind insgesamt 33 Abgeordnete gegen 147 in der Nationalversammlung. Es ist offensichtlich, dass unsere Stimme nicht zählt. Wir haben boykottiert, dagegen gestimmt, Misstrauensanträge gestellt, Änderungsanträge eingebracht. Aber das Gesetz ist das Gesetz. Die Mehrheit hat entschieden.
Der malische Oppositionsführer Soumaïla Cissé von der Union für die Republik und Demokratie (URD) kandidierte schon mehrfach für das höchste Staatsamt. Der Informatiker war von 1993 bis 1997 Finanz- und Wirtschaftsminister sowie später Umwelt- und Urbanisierungsminister des westafrikanischen Staates.
Das Interview führte Mahamadou Kane.