Mallorca: Eine Insel will erwachsen werden
20. Oktober 2019Wer dem gestriegelt wirkenden US-Amerikaner Drew Aaron zuhört, wenn er über Mallorca schwärmt, denkt direkt: "Ob das nicht übertrieben ist?" Man muss genauer hinschauen, um ihn zu verstehen. Das "hippe Mallorca", das er beschreibt, findet sich nicht in der von vielen als prollig empfundenen Amüsierkneipe "Ballermann", auch nicht im snobistischen Hafenort Port Andratx, sondern genau dazwischen: in der Inselhauptstadt Palma oder dem Landesinneren.
Da gibt es Weinbauern, Künstler und Musiker, die früher Investmentbanker oder Berater waren in London, Stockholm oder auch New York, wo Aaron in den vergangenen 20 Jahren gelebt hat. Der 42-Jährige ist Kunstsammler und Unternehmer; mit der Aaron Group hat er ein kleines Papierindustrie-Imperium aufgebaut.
"Mit meiner Frau habe ich vor ein paar Jahren entschieden, dass wir hier und nicht in den USA leben wollen", sagt Aaron, der mit dem tschechischen Model Hana Soukupova und den gemeinsamen Kindern in Alaró lebt, einem kleinen Dorf im Landesinneren.
Nicht mehr Deutsch, sondern Englisch ist auf Mallorca inzwischen die gängigste Fremdsprache. Auf 3640 Quadratkilometern leben fast 900.000 Menschen aus 175 Ländern.
Multikulti auf immer höherem Niveau
Laut spanischer Statistikbehörde INE hat sich die Zahl der auf den Balearen lebenden Ausländer seit 2003 auf fast 240.000 verdoppelt. Barometer für den Wandel sind die vielen neuen internationalen Schulen und Krankenhäuser, die entstehen. Die meisten der rund ein Dutzend sehr guten Schulen auf Mallorca sind an das britische oder französische System angelehnt.
Das deutsche Angebot dagegen ist eher kläglich - ein weiteres Zeichen, dass der Einfluss der Deutschen auf Mallorca zurückgeht. Das gilt auch für den Immobiliensektor, wo sich der hyperaktive Aaron ebenfalls als Investor und Makler versucht.
Von Mallorcas Flughafen rund um die Welt
Für EU-Ausländer wie ihn ist Mallorca auch wegen der guten Flugverbindungen attraktiv. Die Insel bietet Diskretion und Sicherheit, bewältigt aber inzwischen 29 Millionen Fluggäste im Jahr, zehn Millionen mehr als im Jahr 2000. Für seine Business-Trips in die USA muss der Amerikaner in Deutschland Zwischenstopp machen, seine 33-jährige Frau kann dagegen von Palma aus direkt in die Pariser oder Mailänder Modewelt jetten.
Beide sind auch deshalb nach Mallorca gekommen, weil sie einen Hauch des New Yorker Stadtteils Soho auf die Insel bringen wollen. In ihrer "Gallery Red" (Artikelbild oben) in Palma zeigen sie Bilder von Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat oder Damien Hirst. Die ehemalige US-Journalistin Vanessa Van der Gast ist die Direktorin: "Natürlich haben uns seitdem viele Kunstfreunde besucht und einige haben bereits Immobilien hier erworben. Mallorca ist angesagt bei Amerikanern", bestätigt sie.
Millionäre statt Massentourismus - dagegen hat selbst die aktuelle Linksregierung der Insel nichts einzuwenden. Sie hat ohnehin versucht, den Billigtourismus einzuschränken, außerdem die Ökosteuer erhöht und touristische Vermietungen durch eine Lizenzpflicht beschränkt.
Die Pleite des Reiseveranstalters Thomas Cook war ein weiterer Schlag für den Mallorca-Pauschaltourismus. "Ob der Kreuzfahrttourismus davon beeinträchtig wird, bleibt abzuwarten", sagt André Dosé, Unternehmensberater und Aufsichtsratchef des Garantiefonds für die Schweizer Reisebüros. Schon bis Ende Juni lagen die Belegungszahlen der Hotels auf Mallorca 15 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
"Einige der billigen Bettenburgen werden langfristig wegen der Überkapazitäten schließen müssen", glaubt Dosé. Er selber liebt die Insel vor allem wegen der vielen Golfplätze. Auch Tennis boomt, dafür sorgt schon der Vater des spanischen Stars Rafael Nadal. Die 2016 gegründete "Rafa Nadal Academy" lockt internationale Tennistalente auf die Insel und schafft weitere Umsätze rund um den gelben Ball. Ende Juni 2020 findet hier ein ATP-Turnier der Männer statt.
Mallorca ist Europas Tourismus-Labor
Schon immer war Mallorca, wo Hotelketten wie Iberostar, Barceló, Melia und Riu ihren Sitz haben, ein Labor für touristisches Know-how. Davon will auch die Innendesignerin Sheela Levy profitieren.
Die Inderin hat mit ihrem Mann einen alten Stadtpalast in Palma renoviert und dort das Restaurant 'Fera' eröffnet. Business-Partner Simon Petutschnigs kocht hier. Der Druck auf ihn ist groß. "Wir wollen einen Michelin-Stern, das ist ganz klar unser Ziel", sagt Levy, die in Indien geboren wurde und in Kenia aufwuchs.
Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal auf Mallorca stranden würde: "Und jetzt wurde hier sogar mein erstes Enkelkind geboren", sagt die 61-Jährige. Ihre Tochter kommt aus der Filmbranche und ist mit einem Bollywood-Filmstar und Regisseur verheiratet, der inzwischen auch Mallorca-Fan ist. "Wir sind alle eng mit der Kreativität verbunden und unterstützen hier auch lokale Künstler."
Sie freut sich, dass es bald auch die erste internationalen Kunstmesse auf Mallorca geben soll. Der Schweizer Galerist Matthias Rüthmüller plant die 'Art Fair Mallorca' für Herbst 2020 im Kongress-Palast in Palma. Levy ist zuversichtlich, dass das auch ihre reichen Landsleute anlocken wird: "Ich kann mir vorstellen, dass sie hier vor allem in Hotels und Landwirtschaft investieren werden."