"Man muss mit den Aufständischen verhandeln"
11. November 2004DW-WORLD: Herr Galtung, wie beurteilen Sie die Großoffensive der US-Armee auf Falludscha?
Johan Galtung: Die meisten Widerstandskämpfer haben nach meinen Informationen offensichtlich Falludscha schon lange verlassen. Das sieht man ja auch daran, dass es zu Gewalt in anderen Städten des Iraks kommt. In der Stadt gibt es eigentlich nur noch Zivilisten zu töten. Wenn Falludscha zerstört ist und es kein Leben dort mehr gibt, hat die US-Armee nichts gewonnen, dann geht es weiter in anderen Gebieten. Die Menge von Widerstandkräften ist wohl unbegrenzt. Falludscha könnte sogar zu einem Stalingrad für die USA werden.
Was könnte man für Frieden tun?
Ich sehe nur einen Weg, den man aber noch nicht benutzt hat. Man muss Kontakt zur Widerstandsbewegung herstellen, die Verhandlungen müssen geheim sein. Es geht darum, zu wissen, was sie wünschen und wie sie die Zukunft sehen. Es scheint, dass es drei relativ klar unterscheidbare Gruppierungen von Widerstandskämpfern gibt: Vertreter der Baath-Partei, also säkulare Gruppen - von denen einige gegen Saddam Hussein sind. Und es gibt Schiiten und Sunniten, die zusammenarbeiten, die sind sehr religiös. Ob sie Fundamentalisten sind, ist nicht so ganz klar. Diese Gruppen entsprechen quasi der Breite der irakischen Bevölkerung mit einer Ausnahme, den Kurden. Die werden jetzt von den USA benutzt. Die US-Armee kämpft zusammen mit kurdischen Soldaten in Falludscha. Schlimmer könnte es nicht sein, denn es gibt einen altergebrachten Hass zwischen Kurden und Sunniten. Die USA haben so eine Situation eines Bürgerkrieges hergestellt, den man ja eigentlich verhindern wollte. Das Muster kennen wir vom Vietnam-Krieg und das wird schief gehen.
Allerdings werden Verhandlungen bislang ausgeschlossen.
Das hat man auch immer während des Vietnam-Krieges gesagt. Diesen Diskurs muss man verlassen. Es geht nur darum, zu wissen, wofür die Aufständischen stehen. Man hat in Vietnam immer gesagt, wenn die Amerikaner rausgehen, dann kommt der Bürgerkrieg, doch die Amerikaner hatten ja bereits vor ihrem Abzug eine Bürgerkriegs-Situation geschaffen. Mir geht es darum zu wissen, welche Bestrebungen haben die Leute. Wollen sie zum Beispiel eine Abspaltung des Kurdischen Nordens und dann eine Versöhnung zwischen Schiiten und Sunnitten, vielleicht eine föderale Republik, oder was wollen sie? Auf dieser Grundlage könnte man aufbauen.
Glauben Sie, dass der aktuelle irakische Ministerpräsident das im Sinn hat?
Allawi ist kein Verhandlungspartner, mit ihm gibt es keine Möglichkeit. Der ist ein Mann des Krieges, der wird in der historischen Gruft landen und bald vergessen werden. Es gibt aber andere Leute und es wäre eine spannende Aufgabe für die EU, dort zu vermitteln. In Vietnam hat man immer gesagt: Es handelt sich um Kommunisten, um Vietkong, mit denen kann man nicht reden. Das hat nicht geholfen, am Ende hat man ganz schön und nett verhandelt und sich schön und nett zurückgezogen und es gab keinen Bürgerkrieg.
Abu Mussab al Sarkawi wird von den USA als zentrale Figur der Gewalt im Irak dargestellt. Was glauben Sie?
Sarkawi ist ein von den USA ernannter Top-Terrorist. Ob er es wirklich ist, das weiß ich schlicht nicht. Was ich weiß, ist dass die Amerikaner immer die Neigung haben, einen einzigen Anführer zu finden. Hat man diesen einen gefangen, dann hat man es geschafft, glauben sie. Sie konstruieren die Lage so, als ob sie so ist. Das kennt man aus der ganzen Nachkriegsgeschichte, die USA haben immer diese Einzelpersonen, Bin Laden ist Beispiel Nummer 1. Ich bin skeptisch, ich glaube dieses Modell ist falsch. Man muss vielmehr differenzieren.
Halten Sie demokratische Wahlen für möglich?
Die Amerikaner glauben, das Problem ist Falludscha. Wenn das erledigt ist, dann werde es Ruhe geben und man kann Wahlen abhalten. Das ist eine Illusion. Ich glaube, unter diesen Umständen werden die Wahlen ein Kunstprodukt sein. Der Irak darf nicht als Einheitsstaat – so wie die Briten das früher und die Amerikaner das heute tun – begreifen. Er sollte jedoch als Bundesrepublik verstanden werden. Die Sunniten, Schiiten und Kurden könnten so Wahlen zunächst in ihren Gebieten für sich abhalten. Es ist sehr falsch, den Irak als Einheitsstaat zu betrachten. Doch das ist das Modell, das sie haben.