1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Manchester ist stark"

Erik Albrecht
23. Mai 2017

Nach dem Anschlag steht "WeStandTogether" auf den Werbetafeln der Stadt. Teile Manchesters sind weiterhin abgeriegelt. Doch in die Nervosität mischt sich auch Trotz. Aus Manchester Erik Albrecht.

https://p.dw.com/p/2dSlA
UK Manchester nach dem Anschlag
Bild: Reuters/D. Staples

"Don't you worry", singt der junge Mann mit langen Haaren. "Manchester, we will be alright." Um ihn herum sitzen vor allem junge Leute auf der Wiese des "Piccadilly Gardens" in der Sonne. Die Stimmung wirkt fast unwirklich festlich. Die Manchester Arena ist nur einige 100 Meter entfernt.

Im Hintergrund erinnert eine große Werbetafel an den Anschlag der vergangenen Nacht. Notfalltelefonnummern für vermisste Angehörige wechseln mit dem Aufruf, Blut zu spenden. Der Selbstmordanschlag nach einem Konzert in der Manchester Arena hat 22 Menschen getötet und 59 verletzt.

UK Manchester nach dem Anschlag
Sam Fairbrother spielt heute ohne HutBild: DW/E. Albrecht

"Ich spiele heute hier, um den Menschen Liebe zu geben", sagt Sam Fairbrother. Sam ist Straßenmusiker, doch heute hat er keinen Hut für Spenden aufgestellt. Als er am Morgen im Radio von dem Anschlag hörte, habe er spontan beschlossen, in den "Piccadilly Gardens" zu kommen. Auf einem Transparent vor ihm auf Rasen hat er mit einem dicken Filzstift seine wichtigste Botschaft geschrieben: "All we need is love."

Polizei und Blaulicht

"Mir gefällt die Solidarität; wie alle Menschen zusammenkommen und sagen, dass sie keine Angst haben", sagt Zina, die ein paar Meter weiter mit ihrem Freund Charlie der Musik lauscht. Die beiden Mitzwanziger sind für ein paar Tage aus London nach Manchester gekommen. Die Fenster ihres Hotels gehen direkt auf die Manchester Arena. Als die beiden vom Abendessen zurückkamen, war der Anschlag keine Stunde her. "Wir haben die ganze Nacht das Blaulicht von Polizei und Rettungswagen gesehen", erzählt Charlie. "Das war ziemlich beängstigend."

UK Manchester nach dem Anschlag
Charlie und Zina im "Picadilly Gardens"Bild: DW/E. Albrecht

Am Tag danach ist die Manchester Arena weitläufig abgesperrt. Victoria Station, einer der großen Pendlerbahnhöfe der Stadt, wird wohl zwei Tage lang geschlossen bleiben. Die Straßen um den Bahnhof herum sind gespenstig leer. Gelbes Absperrband der Polizei verwehrt Schaulustigen den Blick auf die Arena. Nur ein paar Kamerateams dürfen weiter vor, um live in alle Welt die neusten Details zu dem Anschlag zu berichten.

An der letzten Polizeiabsperrung rezitieren sie ihre Texte in die ungewöhnliche Stille der Manchester Innenstadt hinein: "22 Tote…"; "Die schlimmste Attacke, die die Polizei in Manchester jemals erlebt hat."; "Premierministerin Theresa May hat den Anschlag verurteilt." Hinter den Reportern erhebt sich der klobige Bau der Arena. Die Außentreppen wirken von hier aus steil. Ausgelegt für 21.000 Besucher ist die Arena eine der größten Konzerthallen Europas.

Fehlalarm im Einkaufszentrum

Da die Arena abgesperrt ist, haben Menschen ein paar Straßen weiter an St. Ann's Church Blumen für die Opfer niedergelegt. "Wir stehen zusammen, Manchester", steht auf einem großen Herz. Seine Kirche wolle ein Ort sein, an dem die Menschen ihre Trauer zeigen und teilen können, sagt Bischof Mark Ashcroft. Priester stünden zur Seelsorge bereit. "Für uns ist jetzt wichtig, dass wir im Angesicht des Horrors, der Tragödie und der Gräuel füreinander da sind und dem Hass und dem Bösen in der Welt nicht erlauben, unsere Gemeinde zu zerstören."

Während der Bischof spricht, legen zwei Bauarbeiter Blumen an der Kirche nieder und entfernen sich schnellen Schrittes wieder. Es gebe immer noch sehr viel Angst in der Stadt, sagt der Bischof, doch "Manchester ist stark."

UK Manchester nach dem Anschlag
Gedenken an die Opfer in ManchesterBild: Reuters/D. Staples

Wie angespannt die Lage noch ist, zeigt sich am Vormittag ein paar Straßen weiter. Das Arndale-Einkaufszentrum wird geräumt. Wieder Polizei, wieder durchzieht gelbes Absperrband Manchester. In der Fußgängerzone vor dem Gebäude rufen Menschen Freunde und Familie an, um zu sagen, dass sie in Sicherheit sind. Dazwischen stehen gruppenweise die Angestellten einzelner Geschäfte in der Menge. Vorne links die Mitarbeiter einer Kaffeekette, ein Stück weiter die Belegschaft eines Schokoladengeschäfts.

"Plötzlich ertönte das Signal zur Evakuierung", erzählt eine Verkäuferin eines Mobilfunkshops. Nach dem Anschlag der letzten Nacht habe das große Panik erzeugt. "Hört Ihr?", ruft ihr Kollege dazwischen. "Jetzt räumen sie das ganze Gebäude." "Ich habe keine Ahnung, wie lange wir hier schon stehen", sagt wenig später eine andere Verkäuferin. "Alles ist derzeit so verrückt." Kurz darauf teilt die Polizei mit, sie habe einen Mann in dem Einkaufszentrum festgenommen. Einen Zusammenhang mit dem Anschlag vom Vortag bestehe aber nicht. Das Arndale-Einkaufszentrum öffnet wieder.

"Du wirst geliebt"

Davor bietet ein Zeitungsverkäufer die "Manchester Evening News" mit 34 Sonderseiten zu dem Anschlag an. "Massaker" steht in großen Buchstaben auf der Titelseite. Die Verkäufe liefen heute sehr gut, sagt er. Jeder sei schockiert über die furchtbare Tat.

Wir werden uns nicht beherrschen lassen, wir werden uns nicht kontrollieren lassen", singt Sam unterdessen im "Piccadilly Gardens". Seit elf Jahren ist er Straßenmusiker in Manchester. Statt Visitenkarten verteilt er heute Karten mit dem Aufdruck "Du wirst geliebt." Sein Ziel sei es, die Angst auszulöschen, sagt er zum Ende seines Konzerts. "Die wollen doch, dass wir uns alle zu Hause verstecken und diejenigen hassen, die solche Anschläge verüben", sagt Charlie. "Doch das ist nicht, was passiert: Die Leute kommen hierhin und genießen die Musik - sogar mehr als sonst."