Mangue Beat, elektrischer Balkan und Gamelan
28. Dezember 2005Die größte Erfolgsgeschichte des Weltmusikjahres 2005 waren Amadou und Mariam, das blinde Paar aus Mali. Sie machen zusammen Musik, seit sie sich in der Blindenschule von Bamako trafen. Bis sie nach Europa kamen, dauerte es mehrere Kassetten, mehrere innerafrikanische Wohnortwechsel und zahlreiche Rückschläge in einem Land, wo es schwierig ist, von der Musik zu leben - und als Blinder fast schon unmöglich ist. Doch Mitte der 1990er-Jahre hörte ein französischer Produzent eine dieser Kassetten und die beiden Musiker siedelten nach Paris über.
Gefördert von Manu Chao
Es brauchte dann noch einmal 10 Jahre für den internationalen Durchbruch. Der kam dank der Hilfe des Alternativ-Popstars Manu Chao im Frühjahr 2005. Amadou und Mariam produzierten mit ihm das Album "Dimanche a Bamako" und landeten einen internationalen Bestseller. Sie belegten nicht nur Platz 1 der europäischen World Music Charts, sondern eroberten auch die Pop-Hitparaden, Festivals und Radioprogramme. So kam es, dass in diesem September ein Künstlerpaar auf einem Festival als Newcomer gefeiert wurde, das bereits seit 30 Jahren auf der Bühne steht.
Warum Westafrika?
Liegt es daran, dass in Westafrika einfach so viel gute Musik gemacht wird, oder liegt es einfach nur daran, dass die Kultur der ehemaligen französischen Kollonien in vorbildlicher Weise gefördert wird? Musik aus Westafrika, speziell aus Mali, steht seit langem auf der Weltmusik-Agenda und hoch in den entsprechenden Hitparaden. Nach Amadou und Mariam folgt auf Platz zwei der Weltmusikcharts für das Jahr 2005 die bereits nächste CD mit malinesischer Musik. Das Album "In The Heart of the Moon" von Toumani Diabate und Ali Farka Toure ist musikalisch wie produktionstechnisch das Gegenteil von Popmusik. Es wurde ohne Proben in drei zweistündigen Sessions live eingespielt. Aufgenommen in Malis Hauptstadt Bamako, demonstriert die CD, wie zwei großartige Musiker zusammenfinden. Ali Farka Toure - der Ahnenherr des malinesischen Blues mit seiner spröden Akustikgitarre - und Toumani Diabate - der fingerflinke Meister der 21-saitigen Harfe Kora - hatten beide lange nichts von sich hören lassen und 2005 als Duo eine Art Comeback.
Erfolgreicher Immigranten-Hiphop
Kann erfolgreiche afrikanische Musik aus Deutschland kommen? Im Jahr 2005 muß man eindeutig sagen: Ja, sie kann. Die Gruppe Bantu, das deutsch-nigerianische Hiphop-Projekt des Afropäers und Wahlkölners Ade Odukoja hat sich in diesem Jahr auf die nigerianischen Wurzeln ihrer Kunst besonnen und mit Adewale Ajuba aus Lagos die CD "Fuji Satisfaction" eingespielt: Ein Zusammentreffen von technisiertem Hiphop und souligen Klängen aus Nigeria, aus dem mit seinen losgehenden Rhythmen und der treibenden Energie seiner Songs eine der bemerkenswertestes CDs des Jahres entstand.
Bantus Erfolg beschränkt sich nicht nur auf Europa. Das Album "Fuji Satisfaction" erhielt gerade zwei Kora-Awards, eine Art Grammy, der in Südafrika für afrikanische Künstler vergeben wird. Bantu konnten sich in den Kategorien beste Gruppe aus Westafrika und beste Gruppe aus Afrika eine Trophäe sichern.
Und was gab es aus Brasilien zu hören?
Zum Beispiel DJ Dolores. Dahinter steckt jedoch keine Frau, sondern ein Mann: Helder Aragão de Melo aus Recife fand es einfach nur originell, sich im macho-geprägten Brasilien einen weiblichen Namen zu geben. DJ Dolores, der mit seiner CD "Aparelhagem" lange Platz 1 der World Music Charts belegte, versteht sich nicht als Musiker, eher als Fadenzieher im Hintergrund. Die eigentliche Musik - gleichermaßen brasilianische Volksmusik wie internationaler Clubsound - macht seine Band, das Orchestra Santa Massa. DJ Dolores steht in der Tradition des Mangue Beat, des Rhythmus aus der Mangrove. Das ist ein harter Sound zwischen archaischer Geige und Rap, zwischen Kindervers und urbaner Tanzkultur am Schnittpunkt von ländlichen Bräuchen und der Härte der Städte.
Natürlich gab es auch 2005 sehr viel brasilianische Cocktail-Musik á la Bossa Chillout Folge 5 zu hören. Doch DJ Dolores schaffte es mit seinem erdigen und manchmal auch etwas schrägen Klangkonzept unter anderem 65.000 Besucher des katholischen Weltjugendtages in Köln zu begeistern.
Das Jahr der elektrischen Balkanmusik
Blaskapellen aus Südosteuropa kennen wir schon seit 10 Jahren, dass sich die Hochgeschwindigkeits-Blechmusik mit Elektronik paart ist allerdings neu. Beispiele sind der Frankfurter DJ Shantel, mit seinem Bucovina Club, das rumänische Shukar-Collective oder die retro-rock-geschwängerten Klang-Eskapaden von Balkan Beatbox. Die traditionelle Musik von Moldawien bis Serbien ist im Computer und in den Clubs angekommen und Partys mit Balkanmusik locken das Publikum zu Hunderten auf die Tanzflächen der Republik.
Ein hohes Ziel der Weltmusik ist es nach wie vor, Traditionen und Stile verschiedenster Herkunft miteinander zu verbinden und dabei möglichst etwas neues, eigenes zu schaffen. Ein besonders gelungenes Beispiele dafür ist das Album "Music for Crocodiles" von Susheela Raman. Die Tochter süd-indischer Einwanderer, aufgewachsen in England und Australien mit sowohl klassisch indischer wie Rock-Vergangenheit, verschmilzt ihre tamilische Tradition mit Soul, Pop, afrikanischen Rhythmen und Singer-Songwriter-Elementen mit einer Selbstverständlichkeit zu ihrer eigenen Musik, als hätte es nie etwas anderes als die Fusion zwischen West und Ost gegeben.
Mehr als tropische Gute-Laune-Musik
Die Trommeln kommen aus Afrika, die Tonleiter von der Insel Java, der Gesang im Hintergrund von der Nachbarinsel Bali. So klingt ein Stück aus der CD "Ravanas Cry" der javanischen Gamelan-Bigband Sambasunda. Unter der Leitung des Multi-Instrumentalisten Ismet Ruchimat haben 17 Musiker aus Bandung in West-Java einen Sound entwickelt, der gleichermaßen den klassischen Gamelan verarbeitet und aktuelle indonesische Popstile mit einbezieht. Lateinamerikanische Rhythmen und afrikanische Perkussion treiben die Stücke voran, doch der Klang bleibt traditionell. Abgestimmte Bambusrasseln, indonesische Flöten und Zithern, und das ganze Repertoir der Gamelanmusik wie Holz- und Metallstabspiele jeglicher Art, Gongs und die großen Kendangtrommeln sind zu hören.
Aufregende Musik eigentlich, doch China, Indonesien, Thailand, die Länder Asiens tauchen nur selten auf, wenn es um Musik fremder Kulturen geht. Gut, man kann zu Afro-Pop und Reggae besser tanzen, doch Weltmusik könnte ja auch mehr sein, als der tropische Gute-Laune-Garant für die nächste Party. In diesem Sinne gilt nach wie vor auch für die Zukunft: Es gibt noch sehr sehr viel zu entdecken.