Sonderfall Roma
30. September 2015Ob in Serbien oder Mazedonien, Bulgarien, Rumänien oder im Kosovo: In all diesen Ländern lebt die Minderheit der Roma schon seit Jahrhunderten. Dennoch werden sie dort massiv ausgegrenzt und benachteiligt. Als "Zigeuner" verpönt, wurden sie in der Vergangenheit oft verfolgt. Heute sind sie bestenfalls geduldet. Als gleichberechtigte Mitbürger sind sie selten akzeptiert. "Es handelt sich um eine Minderheit, die in allen Ländern gesellschaftlich marginalisiert ist und ausgeschlossen wird aus den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Organisationsformen", sagt Zeljko Jovanovic, Direktor des Büros für Roma-Initiativen der Open Society Foundation in Budapest im DW-Gespräch. Das Ergebnis: Wo immer sie wohnen gehören Roma zu der ärmsten Gesellschaftsschicht. "Laut UN-Angaben leben 40 Prozent der Roma am Rande der Armut", bestätigt Jovanovic.
Deswegen suchen viele ihr Glück und einen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit in Westeuropa, oft in Deutschland. Die Reise nach Westen ist für sie leichter geworden. Roma aus Bulgarien und Rumänien können als EU-Bürger ohne Einschränkungen reisen. Für die Menschen aus Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder Albanien ist die Visumspflicht aufgehoben. Nur die Bürger aus dem Kosovo brauchen noch ein Visum, um nach Deutschland zu reisen. Einmal im Westen angekommen, versuchen sie in der Regel entweder durch einen Asylantrag ihr Bleiberecht zu erzwingen oder als EU-Bürger in den Genuss staatlicher Sozialleistungen zu gelangen.
Keine Chance auf Asyl
Rund ein Drittel aller Balkan-Flüchtlinge in Deutschland gehören der Roma-Minderheit an: Laut Angaben der Bundesregierung waren im ersten Quartal dieses Jahres 91 Prozent der Asylbewerber aus Serbien Roma, gefolgt von Mazedonien (72 Prozent), Bosnien (60 Prozent) und Montenegro (42 Prozent). Hingegen waren nur rund 9 Prozent der Antragsteller aus Albanien und dem Kosovo Angehörige der Minderheit. Insgesamt kamen in den ersten drei Monaten 42.000 Flüchtlinge vom Westbalkan.
Zwar ist in Deutschland inzwischen bekannt, dass die Roma in ihren Herkunftsländern oft besonders diskriminiert und benachteiligt sind. Dennoch haben sie so gut wie keine Chancen auf Asyl. Nach Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina wurden jetzt auch Albanien, Kosovo und Montenegro zu sogenannten sicheren Herkunftsländern erklärt. Man geht davon aus, dass es dort keine systematische Verfolgung oder Bedrohung der Menschen gibt – auch nicht der Roma. Daher haben die Bürger aus diesen Staaten in Deutschland grundsätzlich keinen Anspruch auf Asyl.
Das spiegelt sich in der Anerkennungsquoten von Asylanträgen: Im Monat August wurden 0,4 Prozent der Flüchtlinge aus Mazedonien als Asylberechtigt anerkannt, aus Serbien 0,1 Prozent. Für die Menschen, die aus den sicheren Herkunftsländern kommen, könnte man die Asylverfahren wesentlich beschleunigen und man kann die abgelehnte Asylbewerber dort schneller zurückschicken.
Auch in Deutschland marginalisiert
In einer rechtlich anderen Situation sind Roma, die aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien nach Deutschland kommen. In den ersten drei Monaten haben sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Mit dieser Regelung soll der sogenannte Sozialtourismus in Europa verhindert werden. Nach drei Monaten wird dann geprüft, wer Anspruch auf Leistungen hat. Das gilt vor allem für EU-Bürger, die in der Bundesrepublik einen Job gefunden oder sich selbständig gemacht haben. Für diejenigen, die ohne Arbeit nach Deutschland kommen, ist die Lage schwieriger. Sie erhalten zwar auch Kindergeld, aber laut deutscher Sozialgesetzgebung wird diese Sozialhilfe – die sogenannte Hartz-IV-Leistung - nicht an Ausländer gezahlt, die sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Dieses Prinzip hat inzwischen auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil bestätigt.
Da sie EU-Bürger sind, können sich Roma aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland frei niederlassen. Aber auch hier bleiben sie oft benachteiligt. Im "Roma-Statusbericht" des Bezirksamtes Berlin Neukölln heißt es, dass rund ein Drittel der untersuchten Personen Sozialleistungen empfingen. Ihre Kinder stellten unter den Zuwanderern die größte Gruppe von Schülern ohne Deutschkenntnissen. Viele Jugendliche hätten kaum Grundbildung und müssten erst "das Lernen an sich" lernen. Weil einige Familien über keine Krankenversicherung verfügten, müssten sie sich selbst bei leichteren Erkrankungen wie Erkältungen in der Notaufnahme von Krankenhäusern behandeln lassen. Auch ihre Wohnbedingungen sind schlecht. Private Vermieter zeigten sich fast nie bereit, Roma aufzunehmen. Die deutschen Arbeitsmarktstatistiken weisen die ethnische Zugehörigkeit nicht aus. Doch Berichte der Bundesagentur für Arbeit legen nahe, dass die Arbeitslosigkeit unter den Roma aus Rumänien und Bulgarien besonders hoch ist. Derlei Marginalisierung biete einen "Nährboden für Kleinkriminalität und notgedrungene Prostitution", warnt der Roma-Statusbericht.