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Glaube

Mariä Aufnahme in den Himmel

20. August 2021

„Himmelsstürmer“ gab es zu allen Zeiten, Aufsteiger und Sternenkinder. Was ist mit denen, denen keiner hinterherschaut, die keine große Rolle spielen, die längst begraben und vergessen sind? Aus die Maus?

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Gottesdienstübertragung Herxheim
Bild: Hermann Rieder

In der Zeit der frühen Christen waren Himmelfahrten geradezu an der „Tagesordnung“. Für die römischen Kaiser war es der letzte Karriereschritt: die Auffahrt zu den Sternen und zu den göttlichen Himmelssphären. Hier nahmen sie als Vergöttlichte endgültig Platz. Schon damals provozierte dies den Spott der Intellektuellen. Der Philosoph Seneca karikiert in einer bitterbösen Satire die Vergöttlichung des ihm verhassten Kaisers Claudius als „Apokolokynthosis“, als „Verkürbissung“; wir würden heute sagen: als „Veräppelung.“ Und der bodenständige Kaiser Vespasian soll in seinem Sterben in einem Anflug von Selbstironie gesagt haben: „Wehe, ich glaube, ich werde ein Gott!“

Diesen politischen Allmachtsphantasien hielten die Christen die Himmelfahrt Jesu entgegen: Ein gekreuzigter Schwerverbrecher wird erhöht zu Gott, fährt wie ein Julius Caesar oder Augustus zu den Sternen auf, zeigt sich als der wahre Gottessohn! Was für eine Provokation! Und was für eine Karikatur menschlicher Himmelsstürmerei!

In der Spätantike legten die Christen sogar noch eins drauf. Nicht nur von Jesus, sondern auch von seiner Mutter behaupteten sie die Himmelfahrt, die Entrückung und Verklärung einer einfachen Frau aus Galiläa, die mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Seitdem ist der 15. August für dieses Fest reserviert, ausgerechnet der Tag, an dem man in Rom den Beginn der Alleinherrschaft des göttlichen Kaisers Augustus, des Himmelsstürmers schlechthin, Jahr für Jahr feierte. Fortan steht neben der politischen Erhöhung und Überhöhung des ersten römischen Kaisers am selben Tag die Himmelfahrt einer Frau aus Nazareth, die, ebenso wie ihr Sohn, nun wirklich keine Rolle in der machtpolitischen „Erfolgsgeschichte“ ihrer Zeit gespielt hat.

Und genau darin liegt das Provozierende und zugleich Tröstliche dieses Festes, das das Potential hat, auch in unserer Gegenwart gehört und verstanden zu werden. Denn eines steht nach wie vor hoch im Kurs: die Eroberung des Himmels. Ich meine damit vordergründig die Sehnsucht nach Erfolg, den Wunsch, im Leben auch mal nach den Sternen zu greifen. Das ist nicht nur verständlich, sondern zutiefst menschlich. Dahinter steht zugleich die tiefe Sehnsucht, wahrgenommen, gesehen zu werden. Es geht um mein „Ansehen“, um den Wunsch, nicht übersehen und missachtet zu werden. Castingshows unterschiedlichster Couleur bedienen diese Sehnsucht, arbeiten zugleich auch mit einem gnadenlosen Auswahlverfahren. Die Reise zur Wolke sieben ist manchmal mühsam und anstrengend. Und die Bilderflut auf Instagram und anderen Social Media Plattformen lässt für mich auch immer diesen Wunsch hörbar und sichtbar werden: „Bitte sieh mich, wirf ein Auge auf mich!“

Was ist mit den vielen Erfolglosen und Zukurzgekommenen, den Durchschnittlichen (bin ich nicht einer von ihnen?) und Verlierern, den Unauffälligen und sozial Ausgegrenzten? Der Evangelist Lukas erzählt in seiner Geburtslegende Jesu, wie Gott auf eine junge, nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Frau ein Auge geworfen hat, wie er nicht der Himmelstürmerei und Großmannssucht in den Palästen Jerusalems und Roms auf den Leim geht, sondern in der Unscheinbarkeit einfachster Lebensverhältnisse in Nazareth ein neues Kapitel seiner Liebesgeschichte mit den Menschen aufschlägt. Hier will er Mensch werden, und Maria, überwältigt von ihrem neu gewonnenen Ansehen in den Augen Gottes, stimmt ein Jubellied an, das Magnifikat, das bis heute in den Gebeten der Menschen nicht verstummt ist. Sie singt und jubelt: „Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan…Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“

Ein rebellisches Lied! Ein Lied, das menschliches Macht- und Erfolgsstreben relativiert, das die gnadenlose Konkurrenz unserer Himmelsstürmerei und unsere Lebensangst vor Ansehensverlust „begnadigt“. Gemeint ist: wir müssen uns unser Ansehen nicht erkämpfen. Wir sind angesehen in den Augen Gottes, einfach so, weil ich es bin, ohne Kampf und Krampf, mir mein Leben geradezu „verdienen“ zu müssen. Das muss ich nicht! Genau das meint das altertümliche Wort „Gnade“. In diesem Sinne ist jeder von uns „begnadigt“, in den Augen Gottes ist jeder Mensch Gottes erste Wahl!

Das ist kein Freibrief, alles laufen, mich treiben zu lassen. Maria hat es vorgelebt. Unter dem Ansehen Gottes hat auch sie kämpfen und manches aushalten müssen. Ihre Geschichte wurde nicht zur einlinigen Erfolgsgeschichte, sondern war auch gezeichnet von Angst und Verlust. Das Fest Ihrer Himmelfahrt ist sozusagen die „Unterschrift“, die Beglaubigung Gottes für ein Leben mit Höhen und Tiefen, das sich aber zugleich von Gottes Liebe und Ansehen getragen wusste. Ein angenommenes, ein „aufgenommenes“ Leben!

Diese einfache Frau aus Nazareth wurde zum Prototypen eines vollendeten menschlichen Lebens, weil Gott eben der ist, den Maria besungen hat: der auf sie geschaut hat und auch nicht wegschaut, wenn das Leben erlischt: aufgenommen in den Himmel! Das ist auch unsere gemeinsame Hoffnung….

 

Zum Autor:

Dr. Detlef Ziegler hat in Münster und München Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik studiert und ist Priester des Bistums Münster. Seit Jahren arbeitet er in der Aus- und Fortbildung, aktuell als Akademieseelsorger und Lehrbeauftragter für Homiletik (Predigtlehre) an der Universität Münster. Als Prediger und Liturge ist er regelmäßig in Recklinghausen und an St. Lamberti in Münster anzutreffen. Er engagiert sich zudem in der katholischen Hörfunkarbeit als Autor und Sprecher von Morgenandachten und begleitet als Bordseelsorger regelmäßig Kreuzfahrten. Seit einiger Zeit ist er zudem geistlicher Beirat des Pax Christi Diözesanverbandes Münster.