Maria. Heidelberg. Repräsentation
10. März 2021"Warum sind Roma immer die Sündenböcke?" Vor Jahren, als angehende Journalistin, konnte Maria diese Frage noch nicht exakt beantworten, aber sie konnte erkennen, dass "Medienrepräsentation" und "Rassismus" miteinander verbunden sind. Angetrieben vom Willen zu verstehen, wie Medien unser Leben im Detail beeinflussen, wurde sie zu dem, was sie heute ist: eine Wissenschaftlerin. Oder genauer gesagt - eine Medientheoretikerin:
"Ich habe meinen Weg gewählt. Ich wollte verstehen und darüber schreiben, wie Medien funktionieren und warum es wichtig ist, darüber nachzudenken."
Eine ihrer wichtigsten Einsichten entstand während ihrer Doktorarbeit (PhD) und wurde zu ihrem zentralen Forschungsansatz - jener der "Position des Fremden":
"Die Repräsentation der Roma in den Medien verstärkt Vorurteile und Rassismus gegen sie, in einer Art und Weise, dass diese als 'Fremde' in der Gesellschaft positioniert und gehalten werden."
Das heißt also, dass die negative mediale Repräsentation der Roma deren Position in der Gesellschaft prägt und die Art, wie mit ihnen umgegangen wird, beeinflusst - und nicht umgekehrt.
Ist es tatsächlich möglich, dass die Positionierung einer Gruppe in der Gesellschaft so stark von ihrer medialen Repräsentation (mit-)bestimmt wird? Laut Maria ist es absolut möglich - und darüber hinaus haben auch die Abwesenheit authentischer Narrative sowie der fehlende (positive) Diskurs über Roma spürbaren Einfluss auf die Wahrnehmung der Community im Mainstream.
"Wir können nicht über 'Gesellschaft' sprechen, ohne 'Identität' zu thematisieren. Das ist der Grund, warum Gesellschaften, die restriktiv und exkludierend handeln, immer scheitern. Wie wollen wir mit Diversität umgehen? Werden wir Menschen, die anders sind, akzeptieren, ablehnen oder schikanieren?"
Inspirierende Charaktere
Maria erinnert sich an lange Gespräche mit ihrer Familie. Die Verwandten erklärten ihr, dass es manchmal schwierig sein würde (Romni zu sein) und dass es zu Situationen kommen könnte, in denen man ausgeschlossen wird. Gleichzeitig betonten sie, dass das nicht so sein sollte und dass es viele verschiedenen Arten von Menschen auf dieser Welt gibt - und Roma seien eben eine davon.
Das war wichtig für Maria, aber noch wichtiger war, was ihre Familie ihr ohne Worte beigebracht hatte:
"Meine Familie gab mir immer das Gefühl, in einer Umgebung zu leben, die sich nicht selbst limitiert und die Diversität als Teil des Lebens betrachtet."
Eine Person, die Maria motivierte, ihren Weg fortzusetzen, war János Bogdán - Gründer der Gandhi-Highschool in Pécs, Ungarn, dem ersten Roma-Gymnasium in Europa. Er wurde von vielen bewundert - für seine Art, zu denken, zu sprechen und zuzuhören. Die Gespräche mit ihm halfen Maria, das eigene Potenzial in einem anderen Licht zu betrachten. Er war eine große Inspiration für sie und viele andere Menschen, die ihn getroffen hatten. Maria erkannte, wie wichtig die Verbindung und der Austausch mit anderen Intellektuellen, PionierInnen und HeldInnen aus der Community ist:
"Es ist hart, in einer Gesellschaft zu leben, deren Antwort auf deine Präsenz immer negativ ist. Wir brauchen inspirierende Charaktere und Geschichten, heute mehr als je zuvor."
Maria erzählt von der "Everyday Roma Heroes Campaign", einem Projekt des Roma Press Center. Ziel war es, inspirierende Charaktere aus der Community in Ungarn sichtbar zu machen - eine große Kampagne in Kooperation mit den Mainstream-Medien des Landes. Diese Geschichten erzählen von Menschen, die es geschafft haben, ihre Träume zu verwirklichen, erzählt Maria. Sie weiß, dass dies wichtig ist, um eine positive Identität als Rom/Romni zu entwickeln:
"Ich bin überzeugt davon, dass solche Geschichten die Kraft haben, Menschen dazu zu ermutigen, über ihre bisherigen Limitierungen hinaus zu denken."
Bekenntnis zu den Wurzeln
Das erste Mal, als soziale Medien begannen, in Ungarn eine wichtige Rolle einzunehmen, ist Maria noch gut in Erinnerung.
Vor der Volkszählung im Jahr 2011 motivierten Roma-NGOs ihre Communities via sozialer Medien, am Zensus teilzunehmen, um als BürgerInnen Ungarns sichtbar zu werden - und ihre Angst hinter sich zu lassen.
Ungefähr 315.000 Menschen bekannten sich daraufhin zu ihren Roma-Wurzeln. Ein Riesenerfolg, verglichen mit den Ergebnissen aus dem Jahr 2001 - da hatten sich nur rund 190.000 Menschen als Roma identifiziert.Dadurch wurde eine große und wichtige Debatte über die eigene Identität innerhalb der Community angestoßen:
"Eine Gesellschaft sollte sich nicht andauernd über die Anerkennung von Diversität streiten - so wird Transformation verhindert."
Trotzdem ist heute immer noch vielen Menschen nicht bewusst, dass Roma seit Hunderten von Jahren in europäischen Gesellschaften leben - als Bürgerinnen und Bürger, als Nachbarn.
Maria überrascht es nicht, dass einer der gegenwärtigen Schlüsselbegriffe der BürgerInnenbewegung "Widerstand" heißt: "Wir protestieren gegen die Position, die uns in der Geschichte Europas zugeschrieben wird - jene des Fremden."
Dr. Maria Bogdan ist Sozialwissenschaftlerin. Ihr Forschungsinteresse liegt hauptsächlich in den Bereichen mediale Repräsentation und Rassismus. Sie erhielt ihren Doktortitel im Doktoratsprogramm der Eötvös Loránd Universität in Budapest. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über die mediale Repräsentation von Roma in Ungarn unter dem Titel: "Der sichtbare Fremde". Sie forschte an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, an der Central European University sowie zuletzt in der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg. Dort war sie von 2019-2020 die erste Trägerin des "Romani Rose Postdoctoral Researcher Fellowship".
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