Marktwirtschaft statt Waffengewalt
30. September 2002Der Dalai Lama, das religiöse und weltliche
Oberhaupt der Tibeter, hoffe auf eine Wiederbelebung des Dialogs mit China. Das sagte Lodi Gyaltsen Gyari, der Repräsentant des Dalai Lama in den USA. Er kehrte am Wochenende mit einer Delegation der tibetanischen Exil-Regierung von einem Besuch in Lhasa und in
Peking zurück.
Auch Tensing Shala vom Büro des Dalai Lama in Indien wertete kürzlich die Reise im Gespräch mit DW-WORLD als "Schritt in die richtige Richtung". Doch tibetische Bürgerrechtstruppen bezweifeln, dass der vielbeachtete Besuch mehr ist als ein Medienstunt. Vor neun Jahren brach China alle Kontakte mit der tibetischen Exilregierung ab. Seitdem fordert Peking vom Dalai Lama, die aus chinesischer Sicht illegale Vertretung aufzulösen. Alle Forderung nach der Unabhängigkeit soll er aufgeben. Derweil lebten die Tibetaner unter einer fremden Diktatur, erklärt etwa die 'Tibet Initiative Deutschland e.V.' (TID).
Tibeter im Käfig
Thubten Sambhel, vom tibetischen Büro für Information und internationale Beziehungen in London, sagt im Gespräch mit DW-WORLD, die politischen Umstände für die Tibetaner seien extrem. Jegliche Religionsfreiheit würde ihnen genommen. Ihren Gottkönig, den Dalai Lama, dürften sie nicht mehr verehren; sogar ein Photo von ihm zu besitzen sei strafbar. 30 000 Mönche seien exkommuniziert worden. Alle kritischen Stimmen würden sofort zum Schweigen gebracht. "Menschenrechte, wie wir sie kennen haben in Tibet keine Bedeutung", sagt Sambhel. Die Tibeter bewegten sich in einem sehr engen Käfig aus Verboten und Einschränkungen.
1951 marschierte China zur "friedlichen Befreiung" nach Tibet ein - so nennt das die chinesische Regierung. Für die TID begann damals die Unterdrückung der Tibeter. Am 10.3.1959 wehrten sie sich in einem blutigen Volksaufstand gegen die Chinesen. Doch der Widerstand der Tibeter war erfolglos. In den folgenden Jahren wurde vieles zerstört, was an Tibet und seine Religion erinnert.
Schleichende Gewalt
Die sechs Millionen Tibeter innerhalb und außerhalb des Landes haben den Widerstand nicht aufgegeben. China setzt seit einiger Zeit auf subtile Unterdrückung statt Waffengewalt, heißt es bei der TID. Zusätzlich zum Religionsverbot verschwindet die tibetische Sprache aus Schulen und Universitäten, die alte Königsstadt Lhasa wurde teilweise abgerissen. Gleichzeitig fördert die chinesische Regierung die Einwanderung von Han-Chinesen.
Thubten Sambhel glaubt, dass die Chinesen die Frustration und die Wut der Tibeter mit einer neue Taktik in für sie ungefährliche Bahnen lenken wollen. So sollen sich die Tibeter jetzt zur Marktwirtschaft orientieren. "Anstatt politsch aktiv zu sein, sollen sie sich darauf konzentrieren, reich zu werden", sagt er. Aber genau wie andere Modernisierungen, die neuen Straßen, Schulen und Krankenhäuser, kämen die Vorteile hauptsächlich den eingewanderten Han Chinesen zugute, so Sambhel. Trotzdem erhofft er sich, dass dieser erste Besuch von Vertretern des Dalai Lama zu einem neuen Dialog führen wird. "Es ist die einzige Möglichkeit für mein unterdrücktes Volk."