Chronik eines alten Konflikts
17. November 2020Die Ursprünge des Konflikts
Im weitesten Sinne gehen die Spannungen auf das Jahr 1884 zurück. Im Rahmen der so genannten "Kongo-Konferenz" wurden damals weite Teile Afrikas unter den damaligen europäischen Kolonialmächten aufgeteilt. Dabei fiel das heute als "Westsahara" bekannte Gebiet unter den Einflussbereich Spaniens. In den 1960er Jahren erklärten die Vereinten Nationen, die Westsahara sei staatlich zwar nicht unabhängig, forderten Spanien zugleich aber auf, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen. 1976, ein Jahr nach dem Tod von Diktator Francisco Franco, begann Spanien seine Stellungen in der Westsahara zu räumen.
Danach beanspruchten Marokko und Mauretanien das Gebiet. 1973 gründete sich die Polisario (aus Spanisch "Frente Popular de Liberación de Saguía el-Hamra y Río de Oro", "Volksfront zur Befreiung von Saguía el-Hamra und Río de Oro". Die beiden in dem Namen genannten Regionen bilden zusammen die Westsahara. Deren Ziel: Die staatliche Unabhängigkeit der Region Westsahara.
Der "Grüne Marsch"
Marokko wollte die Unabhängigkeit nicht zulassen. Der damalige marokkanische König Hassan II. rief 1975 zum so genannten "Grünen Marsch" auf. In der Folge ließen sich gut 300.000 Menschen als Siedler in der Westsahara nieder - ein eindeutiges Zeichen des marokkanischen Machtanspruchs über die Region. In einem 1976 geschlossenen Abkommen wurde Marokko der Norden der Westsahara - rund zwei Drittel der Gesamtfläche - zugesprochen. Der südliche Teil ging an Mauretanien. Aus Protest gegen diese Übereinkunft rief die Polisario einen Tag später - am 27. Februar 1976 - die "Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) aus. Kurz darauf begannen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen ihr und der marokkanischen Armee. Unterstützt wurde und wird die Polisario von Algerien. Diesem Umstand verdankt sie ihre teils beachtliche militärische Schlagkraft.
Mauretanien verzichtete 1979 auf seine Gebietsansprüche. Daraufhin besetzte Marokko auch den Süden der Westsahara. 1991 beendete ein von den UN vermittelter Waffenstillstand die Kämpfe. In der Folge wurde die UN-Friedensmission MINURSO ins Leben gerufen.
Begehrte Bodenschätze
Die Westsahara ist aufgrund ihrer Bodenschätze ein wirtschaftlich sehr attraktives Gebiet. Begehrlichkeiten wecken vor allem die Phosphat-Vorkommen, die als die größten der Welt gelten: Rund 72 Prozent aller bislang bekannten Reserven befinden sich auf ihrem wie auch marokkanischen Gebiet. Phosphorist einer der wichtigsten Bestandteile moderner Düngemitteln. Vor dem Waffenstillstand von 1991 hatte Marokko mit dem Bau einer Schutzmauer begonnen. Durch sie liegen die rohstoffreichen Regionen nun auf dem Gebiet des Königreichs.
Diplomatisches Tauziehen
Ursprünglich hatten die Vereinten Nationen nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1991 eine Volksbefragung vorgesehen. Doch die kam vornehmlich aufgrund marokkanischen Widerstands bis heute nicht zustande. Mehrere Initiativen des UN-Sondergesandten für die Westsahara, des ehemaligen US-Außenministers James Baker, scheiterten um die Jahrtausendwende am Einspruch Marokkos ebenso wie der Polisario. Auch eine von dem derzeitigen marokkanischen König Mohammed VI. 2006 berufene Arbeitsgruppe, besetzt mit Gesprächsteilnehmern aus Marokko ebenso wie aus der Region Westsahara - allerdings ohne Angehörige der Polisario - führte bislang zu keinem Ergebnis. Von 2017 an hatte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler als UN-Sonderbeauftragter zwischen beiden Seiten zu vermitteln versucht. Aus Gesundheitsgründen gab er das Amt 2019 wieder auf.
Rechtlicher Status der Westsahara
Die DARS wird derzeit von rund 50 Staaten wie auch der Afrikanischen Union (AU) anerkannt. Außerdem ist die DARS seit 1984 Mitglied der AU - ein Umstand, der Marokko noch im selben Jahr dazu bewog, aus der AU auszutreten. Erst 2017 kehrte Marokko in die Reihen der AU zurück. Einen Sitz bei den Vereinten Nationen hat die DARS nicht. Voraussetzung dafür wäre ein Referendum, über dessen Modalitäten sich Marokko und die Polisario bislang nicht einigen konnten.
Einen bemerkenswerten Positionswechsel vollzogen die UN im Herbst dieses Jahres: Am 30. Oktober verlängerte der UN-Sicherheitsrat zwar das Mandat der Westsahara-Mission MINURSO. Doch in dem damit zusammenhängenden Text tauchte die bislang von den Vereinten Nationen geforderte Volksabstimmung nicht mehr auf.
Die jüngste Auflage des Konflikts könnte auch die ohnehin schwierigen Beziehungen Marokkos zu Algerien zusätzlich belasten. Denn die algerische Regierung unterstützt die Polisario weiterhin. Zudem leben in der algerischen Sahara bis zu 170.000 Flüchtlinge aus der Westsahara, zum Teil seit Jahrzehnten.
Gefährdeter Friede
Anlässlich eines marokkanischen Manövers Ende der vergangenen Woche wandte sich der Polisario-Generalsekretär Brahim Ghali in einem Brief an die Vereinten Nationen. Durch das jüngste Manöver, schrieb Ghali, "untergrub Marokko nicht nur den Waffenstillstand und damit verbundene militärische Übereinkünfte, sondern auch alle Chancen, eine friedliche und dauerhafte Lösung des Dekolonisierungsprozesses der Westsahara zu erreichen." Marokko wirft der Polisario-Front hingegen vor, den Grenzübergang Guerguerat bewusst zu blockieren. Die nun begonnene Operation diene dazu, die Mobilität am Grenzübergang zu gewährleisten. Außerdem ziele die Operation darauf ab, das "inakzeptable Verhalten" der Polisario endgültig zu beenden. "Sie kommt zustande, nachdem alle Chancen für eine diplomatische Lösung durch die guten Dienste der Vereinten Nationen ausgeschöpft wurden."
Am Montag hatte König Mohammed VI. UN-Generalsekretär Guterres noch einmal versichert, sein Land stehe zur vereinbarten Waffenruhe. Die Polisario erklärte hingegen, sie protestiere mit der Blockade gegen die aus ihrer Sicht seit Jahren bestehende Tatenlosigkeit der Internationalen Gemeinschaft.
UN-Sprecher Stéphane Dujarric erklärte derweil, die Vereinten Nationen hätten sich in den vergangenen Tagen darum bemüht, eine Eskalation in der Pufferzone zu vermeiden. UN-Generalsekretär Antonio Guterres bedauere, dass diese Bemühungen nicht erfolgreich gewesen seien.