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Proteste in Argentinien: Wie angezählt ist Präsident Milei?

25. April 2024

Hunderttausende haben gegen den radikalen Sparkurs von Javier Milei protestiert. Der ultraliberale Präsident will Argentiniens Haushalt um jeden Preis sanieren. Beim Bildungssektor hat er womöglich den Bogen überspannt.

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Eine unüberblickbare Menschenmasse davor eine weiße Steinstatue
Proteste gegen Einsparungen an den Universitäten: Demonstrationen gab es im ganzen Land. Allein hier in der Hauptstadt Buenos Aires sollen es mehrere Hunderttausend Teilnehmer gewesen seinBild: Rodrigo Abd/AP/picture alliance

Die Motorsäge ist das Symbol seiner Politik: Präsident Javier Milei will den argentinischen Staat und seine Ausgaben auf ein Minimum zurechtstutzen. Mit dieser Devise war er in den Wahlkampf gezogen, so hat er die Wahl im November 2023 gewonnen, und so verfährt er nun auch.

Nach 15 Jahren defizitärer Haushaltspolitik und drei Staatspleiten in 25 Jahren hat sich die argentinische Wählerschaft mehrheitlich auf die offen angekündigte Rosskur eingelassen. Doch nun scheint der Rückhalt zu bröckeln. Am Dienstag sind in Argentinien landesweit Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen die radikale Sparpolitik zu protestieren.

Historische Massendemonstrationen

Allein in der argentinischen Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben rund 100.000 Demonstranten, die Universität von Buenos Aires sprach von mehr als 500.000. Die tatsächliche Zahl dürfte wie so oft in der Mitte liegen.

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Hinzu kamen Kundgebungen in vielen weiteren Universitätsstädten verstreut über das ganze Land, darunter Tucuman, Cordoba, Corrientes und Ushuaia. Sogar vor dem argentinischen Konsulat in Barcelona (Spanien) solidarisierten sich Menschen mit den Demonstranten auf der anderen Seite des Atlantiks. Einige Medien zählen die Proteste zu den größten seit 20 Jahren.

Ein Warnschuss für Milei

Proteste gegen die Regierung von Javier Milei gibt es praktisch seit Beginn seiner Amtszeit Anfang Dezember. Viele davon seien "bedeutende Demonstrationen" gewesen, sagt Facundo Cruz, Politologe von der Universität Buenos Aires: "Aber sie gingen alle von bestimmten politischen Sektoren aus."

Im Januar etwa rief die größte Gewerkschaft des Landes CGT einen Generalstreik aus. Die CGT ist eng mit der peronistischen "Unión por la Patria" (Einheit für das Vaterland) verbunden. Die größte Oppositionspartei hat unter anderem mit Cristina Fernandez de Kirchner an der Spitze in den letzten 20 Jahren Argentiniens Politik dominiert.

In dieser Woche aber, sagt Cruz, sei es anders gewesen: "Diese Demonstration war sektorübergreifend. In vielen Landesteilen waren sogar Menschen dabei, die die Regierung gewählt haben und sich in Umfragen weiterhin für sie aussprechen würden."

Streit um die Hochschulfinanzierung

Maßgeblich für die Beteiligung über das gesamte politische Spektrum hinweg, sagt Cruz, sei der Grund für den Protest: Die Regierung hatte das Budget der öffentlichen Universitäten nominal auf dem Vorjahresniveau belassen. Nach einer Inflation von 280 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten bedeutet dies eine reale Kürzung von rund 65 Prozent.

Argentinien, Buenos Aires, Demonstranten mit einem großen Banner: "Zur Verteidigung der öffentlichen Universitäten"
"Zur Verteidigung der öffentlichen Universitäten" - Hunderttausende signalisierten Präsident Milei, wovor sein Sparkurs haltmachen sollBild: Cristina Sille/dpa/picture alliance

"Für die argentinische Gesellschaft unterschied sich Argentinien vom Rest Lateinamerikas immer dadurch, dass die kostenlose öffentliche Bildung ein Garant der sozialen Mobilität war", erklärt die argentinische Politologin Mariana Llanos vom Hamburger GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. "Die Argentinier können sich mit vielen Einschnitten arrangieren, aber die Bildung ist ein sehr sensibles Thema." Milei habe sich mit diesen drastischen Einsparungen ein Eigentor geschossen.

Wie beliebt ist Milei nach fünf Monaten im Amt?

Dass viele Argentinier, wie Llanos sagt, zu Opfern bereit seien, um Staatshaushalt und Wirtschaft wieder auf sichere Füße zu stellen, zeige sich auch in Mileis Zustimmungswerten: Selbst nach massiven Einschnitten und einer Entlassungswelle im öffentlichen Dienst sprechen sich weiterhin rund 50 Prozent der Argentinier für den ultraliberalen Reformkurs der Regierung aus.

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Allerdings drückt nahezu die ganze übrige Hälfte auch ihre Ablehnung aus. Unschlüssig gegenüber Milei haben sich in Umfragen selten mehr als fünf Prozent der Befragten geäußert. Ein deutliches Zeichen für die Spaltung der argentinischen Gesellschaft, sagt Politologe Cruz.

Historisch fragil ist Mileis Position in der Legislative: Von den 329 Sitzen im argentinischen Kongress hat Mileis Partei "La Libertad Avanza" (Die Freiheit kommt voran) gerade einmal 45 inne (14 Prozent). Die Opposition sei geteilt, sagt Politologin Llanos. Mit der einen Hälfte könne Milei verhandeln, mit der anderen nicht.

Kann sich Milei im Amt halten?

Auch deshalb spekulieren Beobachter seit seiner Amtsübernahme darüber, wie lange sich der unkonventionelle Politiker wohl im Amt halten wird. Facundo Cruz sieht derzeit allerdings niemanden, die bereit und in der Position wäre, Mileis schwieriges Erbe anzutreten. Der amtierende Präsident hat eine grassierende Inflation und hohe Arbeitslosigkeit von seinen Vorgängern geerbt. Zudem gebe es in der Opposition keinen Konsens über einen politischen Gegenvorschlag, so Cruz. Solange die Zustimmung für ihn in der Bevölkerung so hoch bleibe wie bisher, sehe er daher nicht, dass Milei demnächst aus dem Amt gejagt werden könne.

Argentinien La Plata | Präsidentschaftskandidat Javier Milei mit Kettensäge
Im Wahlkampf zeigte Javier Milei die symbolische Motorsäge, mit der er den Staat zurechtstutzen willBild: Marcos Gomez/AG La Plata/AFP

Ähnlich schätzt Brian Winter, Chefredakteur des US-Politikmagazins "America's Quarterly", die aktuelle Situation ein. Er gibt aber zu bedenken: "Ein Präsident der kein Peronist ist, kann sich nie sicher sein. Insbesondere, wenn er den Haushalt derart zusammenkürzt." Bei den Protesten vom 23. April sei es allerdings nicht um Mileis grundsätzlichen Kurs gegangen, so Winter, sondern darum, wo gekürzt werden soll. Und wo eben nicht.

Für Mariana Llanos sind die drastischen Einsparungen im Bildungssektor ein großer und vor allem vermeidbarer politischer Fehler, der einen Wendepunkt markieren könnte: "Milei ist ein intelligenter Mann. Vielleicht wird er den Fehler auf irgendeine Weise korrigieren."

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.