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Baumann: "Organisiertes Chaos"

Stefan Nestler9. Mai 2015

Der deutsche Arzt und Bergsteiger Matthias Baumann hat anderthalb Wochen lang in einem Krankenhaus in Nepal Erdbeben-Opfer versorgt. Im DW-Interview berichtet der Unfallchirurg über seinen Einsatz.

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Matthias Baumann bei der Arbeit im Krankenhaus von Dhulikhel (Foto: Matthias Baumann)
Matthias Baumann bei der Arbeit im Krankenhaus von DhulikhelBild: M. Baumann

DW: Sie sind jetzt seit anderthalb Wochen in Nepal. Wie lange haben Sie täglich gearbeitet?

Matthias Baumann: Wir haben morgens um acht Uhr mit einem Treffen aller leitenden Ärzte und Krankenschwestern angefangen. Dabei wurde besprochen, was im Krankenhaus, aber auch in den Krankenstationen auf dem Land an Hilfe benötigt wird. Dann legten wir los. Vorgegebene Zeiten gab es nicht. Jeder hat so lange gearbeitet, wie er es geschafft hat. Ich war meistens bis zehn, elf Uhr abends in der Klinik.

Wie sah die Arbeit konkret aus?

Ich war die meiste Zeit über im Operationssaal. Wir haben vor allem Knochenbrüche an Armen und Beinen versorgt. Ab und zu habe ich auch in der Notaufnahme mit angepackt.

Woher kamen die Patienten?

Das Krankenhaus liegt in Dhulikhel, eine Stunde Autofahrt östlich von Kathmandu, es ist es schon sehr hügelig. Die Stadt liegt an der Straße, die nach Tibet führt. Daher treffen hier vor allem die Patienten aus den östlichen Bergregionen ein. Für sie ist es die erste große Klinik Richtung Kathmandu.

Sind diese Menschen traumatisiert?

Ja, eindeutig. Bewundernswert ist jedoch, dass sie sich nicht beklagen. Sie haben ein unglaubliches Schicksal erlitten: Sie haben ihre Angehörigen verloren; sie haben einen langen Weg hinter sich, um ins Krankenhaus zu kommen; sie müssen auf dem Gang oder sogar im Freien schlafen und unter Umständen stundenlang vor dem Operationssaal warten, bis sie dran sind. Und doch gehen sie geduldig damit um und beklagen sich nicht über die Umstände. Schließlich ist es ja doch ein organisiertes Chaos, weil der Patientenstrom so groß ist.

Geduldig wartende Patienten vor dem Krankenhaus (Foto: Matthias Baumann)
Geduldig wartende Patienten vor dem KrankenhausBild: M. Baumann

Ist die Lage außerhalb des Krankenhauses auch chaotisch?

Ich habe den Eindruck, dass man die Lage auf dem Land, vor allem in den Bergregionen, noch gar nicht im Griff hat. Unser Krankenhaus hat gerade zwei Tage lang die ganz abgelegenen Dörfer im Langtang-Gebiet [bei Trekkingtouristen beliebte Bergregion nordöstlich von Kathmandu, Anm. der Redaktion] mit Pendelflügen per Hubschrauber versorgt. Ich habe erschreckende Bilder gesehen. Diese Dörfer gibt es einfach nicht mehr. Aber auch diese Hilfe war ja nur punktuell. Ich denke, es gibt immer noch Dörfer, in denen nach dem Beben noch niemand gewesen ist.

Werden aus diesen Gebieten noch Verletzte gebracht, oder nur noch Tote?

In den Bergdörfern wurden die meisten Leichen schnell verbrannt, um Seuchen vorzubeugen. Es treffen immer noch Verletzte aus den Bergdörfern ein, aber natürlich nicht mehr so viele wie anfangs.

Wie sehen die Menschen in Nepal ihre Zukunft?

Jemand hat mir kürzlich gesagt: Nepal wurde um 20 Jahre zurückgeworfen. Ich war auch mehrfach außerhalb der Stadt unterwegs. Es ist unglaublich, was dort alles kaputt gegangen ist. Ich denke, es wird auf jeden Fall Jahre dauern, das Land wieder aufzubauen. Auf der einen Seite spürt man den großen Zusammenhalt der Nepalesen. Auf der anderen Seite sind sie alle traumatisiert. Gestern sagte mir jemand: "We suffer!" Wir leiden.

Zerstörtes Haus in Nepal (Foto: Matthias Baumann)
Immense Schäden in der BergregionBild: M. Baumann

Haben die Nepalesen Angst davor, vergessen zu werden, wenn die Erdbeben-Katastrophe aus den Hauptnachrichten-Sendungen verschwindet?

Ab und zu höre ich das. Aber Nepal ist nicht nur wegen seiner schönen Berge, sondern vor allem wegen seiner Menschen in der ganzen Welt beliebt. Im Erdbebengebiet sind unglaublich viele internationale Hilfsorganisationen im Einsatz, an einigen Stellen fast schon zu viele. Und auch Privatpersonen sind hergekommen, die helfen wollen. Ich glaube nicht, dass die Nepalesen vergessen werden.

Matthias Baumann ist Bergsteiger und Arzt. Der 43-Jährige arbeitet als Unfallchirurg in Tübingen. Als im Frühjahr 2014 eine Lawine am Mount Everest 14 nepalesische Bergsteiger tötete, war Baumann im Basislager und versorgte die Verletzten. Später startete er eine Hilfsaktion für die Familien der Getöteten. Baumann hat auch eine Spendenaktion für die Erdbebenopfer in Nepal ins Leben gerufen: Himalayan Project e.V., Kreissparkasse Biberach, IBAN: DE82 6545 0070 0007 8203 31, SWIFT-BIC: SBCRDE66, Kennwort: "Erdbeben Opfer".

Das Gespräch führte Stefan Nestler.