May gerät mit Brexit in Zeitnot
12. November 2018"Wir können nichts überstürzen", sagte der britische Europaminister bei der Zusammenkunft mit seinen europäischen Kollegen am Montag in Brüssel. Martin Callanan gehört zum Brexit-Ministerium, und ob er mit dieser Bemerkung Selbstironie beweisen wollte, ist unklar. "Wir arbeiten hart für einen Deal, aber es muss der richtige sein. Und wir müssen uns die Zeit nehmen, die Dinge richtig hinzubekommen", fügt er noch hinzu. Worauf ein Reporter ruft: "Aber Sie haben keine Zeit!" Auch EU-Diplomaten gehen davon aus, dass, wenn eine Einigung nicht in den nächsten zwei bis drei Tagen zustande kommt, vor Monatsende kein Sondergipfel mehr stattfinden kann. Das hieße auch, Theresa Mays Plan wäre hinfällig, das Brexit-Abkommen noch vor Weihnachten durch das Parlament zu peitschen.
Folgerichtig spricht die britische Premierministerin nun vom "Endspiel" in den Verhandlungen. Es gebe noch eine beträchtliche Anzahl ungelöster Fragen. "Beide Seiten wollen eine Vereinbarung erzielen. Aber was wir verhandeln, ist extrem schwierig", sagte May am Abend in London.
Was liegt jetzt auf dem Tisch?
Am Ende steht und fällt das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen mit der Lösung der irischen Grenzfrage. Beide Seiten verpflichten sich, beim Austritt Großbritanniens eine neue harte Grenze zwischen Nordirland und EU-Mitglied Irland zu verhindern. Aber der Weg dahin ist nach monatelangen Gesprächsrunden nicht einfacher geworden.
Zuletzt hat die EU der britischen Seite das Zugeständnis gemacht, das ganze Land könne nach dem Brexit und der Übergangszeit vorläufig in der Zollunion bleiben, so dass Grenzkontrollen nicht nötig würden. Eigentlich sollte das Teil der Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis sein, aber die Europäer sind bereit, die Zollunion in die Austrittserklärung aufzunehmen, um die Gespräche voran zu bringen.
Dafür aber verlangen sie Gegenleistungen: Während dieses Zeitraums müssen die Briten EU-Regeln, etwa beim Umweltschutz, der Landwirtschaft oder bei Staatshilfen weiter einhalten. Auch die geltenden Fischereirechte würden solange weiter gelten. Das Ende dieser Vereinbarung würde schließlich durch ein gemeinsames Komitee festgestellt werden und im Streitfall müsste der Europäische Gerichtshof entscheiden. Und schließlich will die EU diese Rückversicherung für Irland - auch Backstop genannt - durch eine weitere Regelung absichern ("Backstop für den Backstop"), falls die erste Lösung scheitert.
Warten auf Signal aus London
"Wir warten auf Signale aus London", sagte Belgiens Didier Reynders zu Beginn der Gespräche auf Ministerebene in Brüssel. "Wir haben noch ein bisschen Zeit, aber nicht mehr viel. Und wir bereiten uns auf alles vor, auch auf einen No-Deal." Man sei sich in den meisten Punkten nahe, sagte er noch, und habe zur Lösung der Irland-Frage einen Vorschlag gemacht. Aber noch gebe es kein Signal aus London. Man warte weiter.
Die französische Europaministerin Nathalie Loiseau bestätigt, dass sich die Vertreter der Mitgliedsländer jetzt erst einmal die Einzelheiten der letzten Verhandlungsrunden anschauen müssten. Aber die Zollunion sei natürlich mit Verpflichtungen für Großbritannien verbunden. Und das gelte auch für die Fischerei: Die Frage der Rechte sei wichtig nicht nur für Frankreich, aber auch für die Niederlande, Dänemark oder Spanien. Bisher gilt, dass britische Fischer ihren Fang unbeschränkt in der EU verkaufen können, und im Gegenzug europäische Fischer in britischen Gewässern die Netze auswerfen dürfen. "Wir müssen das Gleichgewicht zwischen Zollunion und Fischereirechten erhalten", mahnte die Französin.
Und der deutsche Staatsminister Michael Roth machte Druck auf die britische Seite. Die Zeit sei überreif für eine Einigung, und er hoffe, dass man "das Ding noch wuppen könne". Allerdings sieht er keinen Sondergipfel mehr bis Ende November und er betonte, dass man zugunsten der Briten nicht den Binnenmarkt infrage stellen werde: "Der Spielraum ist begrenzt."
EU-Diplomaten erklärten: "Es gibt weiter keinen Durchbruch und der Ball liegt im britischen Feld." Das heißt die Unterhändler warten auf ein Signal aus London, ob die Regierung den Knoten durchschlagen und der gegenwärtig ausgehandelten Lösung zustimmen wird oder nicht. Und einen Brexit-Sondergipfel wird es erst geben, wenn die britische Zustimmung für das Austrittsabkommen da ist. Sonst wird er nicht stattfinden.
Theresa May in der Klemme
Zwar gibt es bei den übrigen EU-Ländern durchaus ein gewisses Mitgefühl für Theresa May und ihre vertrackte Lage. Aber die 27 sind sich auch einig, dass sie die Verantwortung für eine Lösung trägt. Die Situation der Premierministerin aber ist durch den letzten Verhandlungsstand nicht leichter geworden - im Gegenteil. Der Rücktritt des pro-europäischen Staatssekretärs Jo Johnson gilt als Signal für beide Seiten, die verfahrene Situation noch für den eigenen Rückzug zu nutzen, um nicht ein von allen Seiten kritisiertes Abkommen verantworten zu müssen.
Die Brexiteers verdammen den möglichen Austrittsvertrag als "ewige Festschreibung des Vasallentums", wie etwa Boris Johnson oder David Davis erklären. Denn Großbritannien wäre auf unbestimmte Zeit in der Zollunion und in EU-Regeln gefangen. Außerdem verlangen sie eine unilaterale Ausstiegsklausel für die Zollunion, worauf die EU sich nicht einlassen kann. Sie würde die ganze Einigung hinfällig machen.
Die Pro-Europäer kritisieren den Entwurf, weil der Vertrag um vieles schlechter sei als die gegenwärtige EU-Mitgliedschaft des Landes. Die Schotten wiederum sind wütend wegen der Fischereifrage und verlangen einen eigenen "Backstop" zur Sicherung ihrer Rechte. Schließlich hatten sie mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Und die nordirische DUP will unter keinen Umständen die Rückfalloption akzeptieren, wonach die künftige Grenze durch die irische See verlaufen würde, falls alles andere scheitert.
Auch die unter großen Mühen in den letzten Wochen gefundene Lösung mit der Zollunion schafft in London also keine Klärung. Im Gegenteil: Jede Umdrehung bei den Gesprächen scheint neue Widerstände hervorzubringen. Und bereits jetzt wird in London gewarnt, dass Theresa May kaum eine Chance habe, diesen Ausstiegsvertrag durchs Parlament zu bringen.
Auch die Zeit spielt hier gegen sie. Schafft sie es nicht mehr, die Vorlage vor der Weihnachtspause den Abgeordneten vorzulegen, werden ihre Chancen für einen Erfolg im Januar noch schlechter bewertet. Hinzu kommt, dass in diesen Wochen auf allen Seiten die ernsthaften Vorbereitung für einen No-Deal Brexit anlaufen, die das politische Klima weiter belasten dürften.