May, Merkel und der Brexit
13. Juli 2016Die "Berliner Zeitung" schwimmt mit dem Strom: Wie die meisten Zeitungen hat sie sich dazu entschlossen, das Geschlecht Theresa Mays zu ihrer hervorgehobenen Eigenschaft zu machen. In einem Cartoon, der in der Mittwochsausgabe der Zeitung erscheint, sieht man die neue starke Frau an der Spitze des Vereinigten Königreichs mit Angela Merkel bei einer Tasse Tee zusammensitzen. Die beiden stecken vertraulich ihre Köpfe zusammen. Man fühlt sich erinnert an zwei Hausfrauen, die sich über Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft austauschen: "Lass die Männer einfach ihr Ding machen...", sieht man Merkel sagen, woraufhin ihre britische Amtskollegin den Satz mit "... und am Ende bekommt man ihren Job" vollendet.
Es ist sehr einfach, Parallelen zwischen den beiden Regierungschefinnen zu sehen. Beide, Merkel und May, sind in konservativen Parteien, in einem absolut männlich dominierten Umfeld an die Macht gekommen. Angela Merkel war die lachende Dritte beim Machtkampf zwischen dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem vorgesehenen Nachfolger Wolfgang Schäuble. Als sich der Nebel des Spendenskandals, der die Konservativen 1999 in ihren Grundfesten erschüttert hatte, lichtete, wurde sie im April 2000 zur CDU-Parteivorsitzenden gewählt. May konnte sich im Frühsommer 2016 in einem männlich dominierten Hahnenkampf um die Nachfolge David Camerons durchsetzen.
Ähnlich wie vor ihnen Margaret Thatcher, die erste Frau an der Spitze des Vereinigten Königreichs, mussten sich May und Merkel als Außenseiterinnen nach oben kämpfen. Ehrgeiz und ein absoluter Wille zur Macht sind die Kernkompetenzen, mit denen sich die beiden in einem patriarchalen, traditionsfixierten Umfeld durchsetzen mussten. Die Tatsache, dass beide als Töchter eines Geistlichen aufwuchsen, hat ihre Gemeinsamkeiten nur noch unterstrichen.
Techniker der Macht
Zusätzlich zu den offensichtlichen biographischen Ähnlichkeiten gibt es noch eine ganze Reihe tiefer gehender Parallelen. "Die beiden verfolgen einen sehr pragmatischen Politikstil", analysiert Josef Janning vom European Council on Foreign Relations in Berlin. Große, weitreichende Reformen brauche man von den beiden nicht erwarten, eher eine lösungsorientierte Herangehensweise im Bereich des politisch Machbaren.
Hinzu kommt, dass sich May als Innenministerin als Hardlinerin profiliert hat, einschließlich ihrer harten Haltung gegenüber Migranten und dem Ausbau staatlicher Überwachung.
"Sie ist eine typische Innenministerin", so Janning. "Und eine typische Innenministerin, zumindest aus deutscher Sicht, ist eine 'law and order'-Person. Diesbezüglich kann es einer Innenministerin nur um eines gehen: das Gesetz durchzusetzen. Die deutschen Innenminister, Wolfgang Schäuble und sein Nachfolger Thomas de Mazière, stehen in dem Ruf genau solche Politiker-Typen zu sein."
Man kann davon ausgehen, dass die Personalie May im deutschen Kabinett für einige Erleichterung gesorgt hat. Vor allem die Alternativen, der Populist Boris Johnson, die unerfahrene Andrea Leadsom, oder der Lautschreier, Justizminister Michael Gove, hatten den deutschen Parlamentariern Kopfzerbrechen bereitet. Letzterer hatte ernsthaft davon gesprochen, dass die Briten "die Schnauze voll hätten von Polit-Experten". Alle drei Kandidaten waren vom rechten Rand der Labour Partei frenetisch gefeiert worden. Boris Johnson übernimmt nun allerdings im Kabinett die herausgehobene Rolle des Außenministers.
"Vielleicht kommt nun wieder mehr Rationalität in die Debatte", so erhofft es sich zumindest Herbert Reul, der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, gegenüber dem "Spiegel".
Janning sieht das ganz ähnlich. "Die Reaktionen in Deutschland sind auch deshalb positiv, weil dadurch ein langwieriger Führungsstreit innerhalb der Konservativen Partei verhindert wurde. Das bedeutet, dass es zu keinem Stillstand bei den Brexit-Verhandlungen kommt. Nach den Wahlen Ende Juni stand das zu befürchten."
Eher Vermittlerin als Anführerin
Es bleibt ungewiss, ob May Eile hat, die Verhandlungen schnell voranzutreiben. Zum einen gehörte sie dem "Remain"-Lager an. Zum anderen kämpfte sie nicht wirklich leidenschaftlich für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU. Diese Nonchalance könnte ihr bei den schwierigen Verhandlungen in Brüssel nun zugute kommen.
"Letzten Endes muss sie beide Lager von sich überzeugen", so Janning. Weder das Remain- noch das Leave-Lager würden sie bisher als eine von ihnen betrachten: "Ihr Pragmatismus erlaubt es ihr, ganz ohne Rechtfertigungsdruck, in beide politischen Richtungen zu argumentieren. Eigentlich ist sie mehr eine Art CEO als eine traditionelle politische Führungspersönlichkeit." Im Gegensatz zu letzterem müsse ein CEO immer das Einverständnis des Direktoriums einholen.
Angela Merkel wiederum reagierte, wie es ihre Art ist, betont kühl auf die Berufung Mays als Premierministerin. "Die Hauptaufgabe der neuen Premierministerin wird es sein, Klarheit darüber zu schaffen was für eine Art von Verhältnis das Vereinigte Königreich mit der Europäischen Union in Zukunft eingehen möchte", so Merkel am Rande eines Treffens mit dem irischen Premierminister Enda Kenny. Nach Mays Ernennung wünschte Merkel ihr telefonisch Glück für das neue Amt.
In der Tat gibt es nicht wenige Anhaltspunkte dafür, dass gemeinsame biographische Wurzeln nicht zwangsläufig dazu führen müssen, dass es zwischen May und Merkel so harmonisch ablaufen wird wie der Cartoon in der Berliner Zeitung suggeriert. Beide stehen unter gehörigem Druck. Sie müssen verhindern, dass der Brexit keinen Domino-Effekt in Europa auslöst.
"Es kommt ganz darauf an, wie May vorgeht", so Janning. "Wenn sie pragmatisch bleibt und sich darauf konzentriert, was Großbritannien im Gegenzug zum freien Marktzugang bekommen kann, dann werden die beiden gut miteinander auskommen. Wenn sie aber auf Teufel komm raus versucht, auf Kosten der EU das Beste für Großbritannien rauszuholen, dann wird es für sie ganz ganz schwierig mit Angela Merkel."