Mayer: "Gewalt gehört in Brasilien zum Alltag"
1. Mai 2014Die Eindrücke sind noch ganz frisch. Eine Woche war Stephan Mayer mit einer siebenköpfigen Delegation des Innenausschusses des deutschen Bundestags in Brasilien. Der CSU-Politiker und seine Kollegen besuchten Rio de Janeiro, Sao Paulo und die Hauptstadt Brasilia. Sie trafen sich mit Ministern, Polizeivertretern und Menschenrechtlern. Thema der Gespräche: Das Sicherheitskonzept und die generelle Lage in Brasilien sechs Wochen vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2014.
Deutsche Welle: Herr Mayer, kann ich als Fußballfan angesichts der jüngsten Gewaltwelle überhaupt bedenkenlos zur WM nach Brasilien reisen?
Stephan Mayer: Gewalt gehört in Brasilien in den großen Städten leider zum Alltag. Das hat aber nichts unmittelbar mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun. Im Jahr kommen in Brasilien nach wie vor 50.000 Menschen gewaltsam ums Leben. Die meisten davon in den Favelas, also in den Armenvierteln. Man muss differenziert betrachten, wie es dort zugeht, wo die WM stattfinden wird: In den Innenstädten, in und um die Stadien, an den Flughäfen, in den Hotels, bei den Fanfesten. Ich bin mir sicher, dass dort für Sicherheit gesorgt werden wird. Natürlich hat jeder Fan auch die Verantwortung, sich sorgsam und vernünftig zu verhalten. Man kann sich in Brasilien in den großen Städten nicht überall bewegen. Da, wo sich die Fans gewöhnlich aufhalten, kann man aber bedenkenlos hingehen.
Brasiliens Polizei ist ja nicht gerade zimperlich. Immer wieder werden bei Einsätzen Unbeteiligte erschossen. Viele der Polizisten sind selber kriminell. Wie soll so eine Polizei für Sicherheit sorgen?
Es gibt nach wie vor großen Reformbedarf innerhalb der brasilianischen Polizei. Manche Polizeibehörden haben ein großes Korruptionsproblem und sind in Teilen sogar selbst integraler Bestandteil der organisierten Kriminalität. Ich würde das aber nicht verallgemeinern. Die Brasilianer wissen natürlich ganz genau, dass das Thema Sicherheit ein ganz wichtiger Aspekt der Fußballweltmeisterschaft ist. Ich habe den Eindruck gewonnen, insbesondere im Gespräch mit den Innenministern der Bundesstaaten, dass die brasilianische Regierung ganz genau weiß, dass mit Argusaugen darauf geblickt wird, wie sich die Polizeibeamten verhalten. Dass es ein schlechtes Bild auf Brasilien werfen würde, wenn es zu Gewaltexzessen der Polizeibeamten käme, wie während des Confederation Cups. Ich hoffe, dass die Polizeibehörden aus den Erfahrungen vom vergangenen Jahr gelernt haben, stärker auf Deeskalationsstrategien zu setzen und insbesondere friedlichen Demonstranten nicht gewaltsam zu begegnen.
Brasilianer und Ausländer, die in Brasilien leben, berichten häufig von schlechten Erfahrungen mit der Polizei. Wenn man sich bei Problemen an die Beamten wende, ernte man häufig nicht viel mehr als ein Achselzucken. Was können die deutschen Fans von dieser Polizei bei Problemen erwarten?
Die Brasilianer wissen, dass sie im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Ich bin mir sicher, dass die Polizeibeamten, die in den Fanzonen zum Einsatz kommen, auch ansprechbar sein werden für die deutschen Fans. Daneben gibt es aber auch viele Anlaufpunkte von deutscher Seite. Es wird an jedem Austragungsort einen deutschen Fanbeauftragten geben. Es wird einen deutschen Fanbus geben. Die Generalkonsulate und die Botschaft stellen Ansprechpartner zur Verfügung. Jeder deutsche Fan wird über Telefonnummern informiert, an die er sich im Notfall wenden kann.
Brasilien gilt ja als das Fußballland schlechthin – wie groß ist denn die Vorfreude der Menschen?
Es war überraschend für uns, dass die Begeisterung im Land noch nicht so ausgeprägt ist. Gerade mal die Hälfte der Brasilianer freut sich auf die WM. Es gibt da noch deutlich Luft nach oben. Man sieht wenig öffentliche Begeisterung für die WM, es wehen zum Beispiel keine brasilianischen Fahnen aus den Fenstern. Das kann sich natürlich ändern, wenn sich das Turnier für die brasilianische Mannschaft gut entwickelt. Sollte die brasilianische Mannschaft wider Erwarten früh ausscheiden, würde das der Stimmung im Land mit Sicherheit nicht zuträglich sein. Viele Gesprächspartner haben gesagt, dass die WM dann für die Brasilianer gelaufen wäre.
Wie groß ist das Risiko, dass es bei der WM wieder Proteste wie während des Confederation Cups gibt?
Proteste sind mit Sicherheit nicht ausgeschlossen. Es kann durchaus sein, dass Brasilianer die WM als Plattform nutzen, um auf durchaus berechtigte Anliegen hinzuweisen. Brasilien weist nach wie vor große soziale Unzulänglichkeiten auf. Einen großen Unterschied zwischen Arm und Reich, eine schlechte Gesundheitsversorgung, ein marodes Erziehungs- und Schulwesen. Dass die Brasilianer demonstrieren und auf diese Unzulänglichkeiten hinweisen, ist ihr gutes Recht.
Inwieweit können sie denn die Kritik an der WM nachvollziehen?
Es gibt natürlich kritische Stimmen, dass die Ausgaben, die mit der WM verbunden sind, völlig überdimensioniert sind, dass das Geld besser in anderen Bereichen investiert werden könnte. Viele Brasilianer haben relativ wenig mit der WM zu tun. Die meisten werden auch nicht in den Genuss von WM-Tickets kommen. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass sie wenig Verständnis haben, dass die Regierung sich hier so stark finanziell engagiert und andere Dinge leider liegen bleiben.
Was wird die WM dem Land bringen?
Brasilien ist das fünftgrößte Land der Welt, die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die Brasilianer wollen und sollen ernst genommen werden. Sie können sich mit sportlichen Großereignissen wie dem Confederation Cup, der WM oder Olympia hervorragend präsentieren. Diese sehr große Chance muss natürlich entsprechend wahrgenommen werden.