Neue Regierung, alte Probleme
2. Juni 2017Drei Schüsse aus einer Feuerwaffe hörte man im Zentrum von Skopje am ersten Juni, nur einige Stunden, nachdem die Minister der neugewählten mazedonischen Regierung ihre Posten offiziell angetreten hatten. Es war ein Attentat, die Zielperson: Nikola Todorov, Gesundheitsminister in der bisherigen Regierung der national-konservativen VMRO-DPMNE. Todorov hat den Angriff unverletzt überlebt.
Im Februar 2015 starb die damals neunjährige Tamara Dimovska. Das Mädchen hatte mehr als drei Monate lang vergeblich auf staatliche Hilfe gewartet, um sich im Ausland einer medizinischen Behandlung unterziehen zu können. Tamaras Tod schockte die mazedonische Öffentlichkeit, und besonders Minister Todorov geriet in die Kritik. Es war ihr Großvater, der jetzt die Waffe in die Hand nahm und auf Todorov schoss.
Tamara wurde damals zum Symbol des Kampfes gegen die tief sitzende Korruption in Mazedonien, gegen eine Regierung, die hunderte Millionen Euro für überlebensgroße Statuen Alexander des Großen und neu errichtete barocke Gebäude ausgab, jedoch keine 30.000 Euro für die Behandlung eines schwerkrankes Kindes im Ausland übrig hatte. Der 60-jährige Großvater hatte sich entschieden, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, nachdem der Staat sein Enkelkind sterben ließ.
Der korrupte Staat
Groß sind die Angst und die Gefahr, dass sich ähnliche Zwischenfälle in dem gerade einmal zwei Millionen Einwohner zählenden Land wiederholen könnten. Denn die mazedonische Gesellschaft ist zutiefst gespalten – das Ergebnis einer fast 11-jährigen Regierungszeit von VMRO und der zweijährigen tiefen politischen Krise, die das kleine Balkanland durchlebt hat.
"Die VMRO hat die Gesellschaft mit einem schrecklich angeheizten Ethno-Nationalismus vergiftet. Die neue Regierung muss nun mit kluger Sacharbeit die Situation beruhigen, im Land und international," findet der Abgeordnete der SPD im Bundestag und Balkankenner Josip Juratovic. "Die politische Krise ist fürs Erste beendet, aber die wirtschaftliche und soziale Krise dauert an." Die Tatsache, dass das Attentat auf den früheren Gesundheitsminister ausgerechnet am Tag passierte, an dem die neue Regierung mit dem Sozialdemokraten Zoran Zaev an der Spitze die Amtsgeschäfte übernahm, zeigt ganz deutlich, welch schwierige Aufgabe sie vor sich hat.
In dem Jahrzehnt, in dem der VMRO-Vorsitzende Nikola Gruevski fast nach belieben waltete und schaltete, wurde Mazedonien vom einstigen Musterbeispiel zu einem der größten Probleme in Südosteuropa. Das Land, das die Europäische Kommission in ihrem letzten Bericht einen "gefangenen Staat" nannte, hat sich unter der Führung Gruevskis in eine Demokratur verwandelt: in einen Staat, in dem seine Partei die Kontrolle über das Justizsystem, die Medien und die Verwaltung übernahm. Die Erstürmung des Parlaments seitens der Anhänger Gruevskis am 27. April dieses Jahres hat nochmal gezeigt, dass die Kraken seines Systems bis zu den Sicherheitskräften im Lande reichen.
Große Schulden
Aus den Parlamentswahlen im Dezebmer 2016 ging zwar die VMRO als Sieger hervor, die nötige Mehrheit wurde jedoch verfehlt. Die albanische Parte DUI, seit acht Jahren Koalitionspartner der VMRO, wechselte die Seiten und entschied sich für eine Zusammenarbeit mit den bis dahin oppositionellen Sozialdemokraten. Allerdings weigerte sich der Präsident Gjorge Ivanov, ein Vertrauter der bisher regierenden nationalkonservativen Partei VMRO, dem Sozialdemokraten Zoran Zaev das Mandat zur Regierungsbildung zu erteilen. Dabei hatte sich dieser an der Spitze einer Koalition mit drei Parteien der albanischen Minderheit eine klare Parlamentsmehrheit von 67 der 120 Mandate gesichert. Mit rund 25 Prozent der Bevölkerung stellen Albaner die größte ethnische Minderheit im Land. Erst Mitte Mai gab Ivanov nach massivem internationalen Druck nach.
"Nun ist die Regierungsbildungskrise zu Ende. Aber ob die Krise in Mazedonien zu Ende ist, dass glaube ich eher nicht", sagt Tobias Flessenkemper, Senior Fellow und Direktor des Balkan-Projekts beim Centre international de formation européenne (CIFE) in Nizza, Frankreich. "Es ist eine sehr große und schwierige Aufgabe, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und die letzten Jahre so aufzuarbeiten, dass es nicht zu noch mehr Antagonismus in der Gesellschaft kommt", so Flessenkemper im DW-Gespräch.
Hinzu kommt, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, wie es um die Finanzen des Staates steht. Laut statistischen Daten haben Gruevski und seine Partei in den letzten acht Jahren mindestens fünf Milliarden Euro an Schulden angehäuft. Alleine für "Skopje 2014" wurden 700 Millionen ausgegeben. Dabei handelt es sich um ein kontroverses Projekt mit Hunderten von pseudo-historischen Denkmälern und barocken Gebäuden in der Hauptstadt, bestellt und beaufsichtigt von Gruevski persönlich. Sein Ziel es war es, die 'antiken' Wurzeln der Mazedonier zu bestätigen und zu glorifizieren. Und ein Teil des Geldes wurde in das klientelistische System Gruevskis gesteckt, das ihm geholfen hatte, die Wahlen in den letzten zehn Jahren zu gewinnen.
Der Namensstreit
Zaevs Koalition, an der auch zwei Parteien der ethnischen Albaner beteiligt sind, ist mit großen Herausforderungen auch auf internationaler Ebene konfrontiert. "Die Mitgliedschaft in der EU und NATO ist die Hauptpriorität der neuen Reformregierung", so Zaev nach der Wahl des Kabinetts. Das Haupthindernis, nebst den inneren Reformen, die durchgeführt werden müssen, bleibt der Namensstreit mit Griechenland. Seit 2008 blockiert Griechenland die Mitgliedschaft Mazedoniens in der NATO und seit 2009 den Beginn der Gespräche für einen Beitritt zur EU. Der neue Außenminister Nikola Dimitrov kündigte bereits seinen ersten Staatsbesuch in Athen an. "Da haben wir das größte Problem", sagt Dimitrov. Doch die Lösung ist bisher in weiter Ferne. Zunächst müssten wohl die Probleme im eigenen Land gelöst werden. Dann erste könnte eine Kompromisslösung mit dem Nachbarland gefunden werden.
Der Berichterstatter für Mazedonien im deutschen Bundestag, Thorsten Frei (CDU), ist der Meinung, dass jetzt alles in den Händen der neuen Regierung liegt. "Deutschland und die EU stehen ganz an der Seite Mazedoniens. Wenn es Fortschritte gibt, bin ich mir sicher, dass auch der Druck auf Griechenland in der Namensfrage steigt", so Frei im Gespräch mit der DW. Es sei noch zu früh, die Verhandlungen über einen Beitritt zur EU zu eröffnen, "da es durch den jahrelangen politischen Konflikt Rückschritte im Integrationsprozess gab. Erst muss Mazedonien etwas liefern", betont Frei.