'Sie haben den Planeten kaputt gemacht'
11. Dezember 2015DW: Was muss passieren, damit die Welt sich energietechnisch nicht mehr auf Kohle verlässt?
Bill McKibben: Vor drei Jahren habe ich einen Artikel geschrieben, "Global Warming's Terrifiying New Math" (Die beängstigende neue Mathematik der globalen Erwärmung). Sie basiert auf einer Studie von Finanzberatern in Großbritannien, die sich die Mühe gemacht hatten, alle fossilen Brennstoffe, die auf der Welt zu finden sind, zu addieren. Das Ergebnis: Vor drei Jahren schon hatten wir mehr als fünf Mal so viel an fossilen Brennstoffen gelagert, wie wir uns leisten können, zu verbrennen.
Mit diesen Zahlen war klar: Das Ende der Klimageschichte war bereits geschrieben. Falls wir das Drehbuch nicht dramatisch abändern, bleibt kein Zweifel: Wir gehen einem schlimmen Ende entgegen.
Entkarbonisierung bedeutet, dass wir die meiste Kohle und das meiste Öl und Gas, von dem wir wissen, unter der Erde lassen und nicht nach mehr suchen.
Sie haben gesagt, dass die erfolgreichsten Bewegungen klare Feinde haben - und dass das in diesem Fall die mächtigen Firmen sind, die mit fossilen Brennstoffen Geschäfte machen. Glauben Sie das immer noch?
Wir wussten ja 2012 noch nicht mal die Hälfte von dem, was wir jetzt wissen! In den vergangenen zehn Wochen haben wir durch großartige amerikanische Journalisten erfahren, dass die größte dieser Firmen, Exxon, schon vor 30 Jahren alles wusste, was es über Klimawandel zu wissen gibt. Und anstatt die Wahrheit zu sagen, haben sie ein kompliziertes und teures Konstrukt von Verleugnung und Falschinformationen aufgebaut.
Der einzige Grund, aus dem wir hier bei COP21 sind ist, dass sie gelogen haben. Wenn sie die Wahrheit gesagt hätten, dann hätten wir nach COP2 mit der Arbeit angefangen.
Macht ist auf unserem Planeten nicht gut verteilt. Die globale Erwärmung ist der Beweis dafür. Es könnte alles ganz anders laufen. Wenn wir die Welt schnell auf Sonnen- und Windenergie umpolen würden, gebe es eine Verschiebung des Machtgleichgewichts, weil niemand ein Alleinrecht auf diese Dinge hat.
Alle erfolgreichen Bewegungen hatten nicht nur einen klaren Konflikt und einen klaren Feind, sondern auch klare Anführer. Ist das mit der Klima-Gerechtigkeitsbewegung auch so?
Wir haben in dieser Bewegung keinen Dr. Martin Luther King. Vielleicht wäre es toll, so jemanden zu haben, aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.
Stattdessen haben wir eine Art führerlose Bewegung. Ich nenne es die "Fossile Brennstoffe Résistance", wie die französische Résistance im zweiten Weltkrieg: überall verteilt und lokal organisiert. Und das ist gut so, denn die Firmen, die mit fossilen Brennstoffen handeln, sind ebenfalls überall und man muss in der Lage sein, sich ihnen überall zu widersetzen.
Aber mit Hilfe des Internets sind wir verbunden, so dass wir uns für wichtige Anlässe zusammenschließen können. Wir haben gemeinsam die Keystone Pipeline in den USA geschlagen und gegen die Kohleminen in Australien gekämpft. Auch die "Ende Gelände" anti-Kohle Aktion in Deutschland haben wir dieses Jahr zusammen gestemmt. Das war großartig. Und von solchen Aktionen wird es im kommenden Jahr weitere geben.
Was können wir tun, um die Entkarbonisierung, also eine Welt ohne Kohle, voranzutreiben?
Das wichtigste, was eine Einzelperson tun kann, ist, sich Unterstützung zu suchen. Schließt euch zusammen und werdet Teil dieser großen Bewegungen, die die Chance haben, problematische Systeme und Strukturen zu verändern.
Gehört dazu auch, Politiker unter Druck zu setzen?
Sicher, das ist ein Teil des Ganzen. Ich glaube aber, dass es manchmal sinnvoller wäre, die Firmen unter Druck zu setzen, die hinter den Politikern stehen. Wenn wir wirklich wollen, dass sich etwas ändert, müssen wir uns nicht mit dem Verkäufer vorn an der Kasse beschäftigen, sondern mit dem Ladenbesitzer im Hinterzimmer.
Sie haben gesagt, dass die Industrie der fossilen Brennstoffe große Macht über das politische System hat. Wie kann man diesen Würgegriff am besten lockern?
Der einzige Weg dafür ist, mit anderen Mitteln zu kämpfen. Diese Menschen haben all das Geld. Wir werden niemals mehr haben als sie. Dafür haben wir die Macht der Bewegung: Leidenschaft, Kampfgeist, Kreativität. Manchmal müssen wir sogar unsere Körper einsetzen und ins Gefängnis gehen.
Schließlich ist es wissenschaftlich seit 20 Jahren klar, was mit dem Klima passiert. Wir haben die besseren Argumente, jetzt müssen wir auch den Kampf gewinnen.
Sie haben auch Divestment, also den Stopp von Investitionen in fossile Brennstoffe, als einen Faktor genannt, der den Kohleausstieg beschleunigen kann. Halten Sie das immer noch für einen wichtigen Schritt?
Sehr sogar. Die Divestment Bewegung ist außerordentlich erfolgreich, mehr, als wir uns das in unseren kühnsten Träumen vorgestellt haben. Anlässlich dieser Konferenz konnten wir verkünden, dass Fonds und Investoren mit einem Vermögen von 3,4 Billionen Dollar ihre Investitionen in fossile Brennstoffe gestoppt haben.
Sie haben die Debatte zum Klimaschutz entscheidend beeinflusst und wurden für Ihre Arbeit ausgezeichnet. Gibt es etwas, das Sie rückblickend anders machen würden?
Ich hätte viel früher anfangen sollen, mich mit anderen zu einer Bewegung zusammen zu tun. Ich habe zu lange nicht verstanden, worum es geht - ich dachte, wir tauschen Argumente aus, aber tatsächlich war es eine Schlacht. Ich schrieb also Buch um Buch und hielt Rede um Rede, weil ich davon ausging, dass wir die Diskussion letztlich gewinnen würden und alle sagen würden: "Aber natürlich, du hast Recht, wir müssen etwas tun."
Wie sich herausstellte, war das dumm. Es ging nicht um Daten und Fakten. Es ging nur um Macht und Geld, also um die Dinge, um die immer gekämpft wird. Seitdem wir angefangen haben, uns zu organisieren, läuft es besser.
Nochmal zurück zum klaren Feind: Die Firmen, die mit fossilen Brennstoffen handeln, als die Bösen hinzustellen, fokussiert die Geschichte auf das Negative…
Ich weiß nicht, ob das negativ oder positiv ist, es ist nun mal die Wahrheit. Wenn Exxon einfach gleich die Wahrheit gesagt hätte, hätten sie 25 Jahre gekünstelte Debatte beenden können. So haben sie möglicherweise ganz allein den Planeten zerstört. Dass ich das so persönlich nehme liegt daran, dass ich ihretwegen mein gesamtes Erwachsenenleben mit einem Projekt verbracht habe, das gar nicht hätte notwendig sein dürfen.
Wir sind ja hier bei COP21 - was sagen Sie zu den Verhandlungen?
Das hier ist die Anzeigetafel, nicht das tatsächliche Spiel. Hier zeigt sich, was wir über die letzten vier, fünf Jahre erreicht haben, wie viel Druck es gab. Es spiegelt auch wider, dass zum Beispiel der Preis für eine Solarzellenplatte seit Kopenhagen um 80 Prozent gesunken ist. Solche Dinge sind es, auf denen die Verhandlungen hier beruhen. Es reicht aus, damit wir langsam mit der fossilen Brennstoffindustrie gleichziehen können. Aber die sind immer noch stark genug, um uns daran zu hindern, ein echtes Abkommen abzuschließen, das uns da hinbringen würde, wo wir hin müssen.
Die Anzeigentafel zeigt also ein etwas besseres Ergebnis an als in Kopenhagen. Andererseits ist ja auch schon mehr Spielzeit vergangen.
Bill McKibben ist ein amerikanischer Umweltaktivist, Autor und Journalist, der viel über die Klimaerwärmung geschrieben hat. Er ist der Mitbegründer und Leiter der anti-Kohlenstoff Bewegung 350.org und erhielt für seine Arbeit 2014 den Alternativen Nobelpreis.