50.000 Afrikaner wollen nach Spanien
27. Juli 2018Spanien steht offenbar eine neue Migrantenwelle bevor. Die Polizei geht davon aus, dass sich derzeit 50.000 Schwarzafrikaner in Marokko aufhalten, die demnächst die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla erreichen oder mit Booten die Meerenge von Gibraltar überqueren wollen, um nach Spanien - und damit nach Europa - zu kommen. Das berichtet die spanische Tageszeitung "El Mundo" mit Verweis auf Polizeiquellen. Zugleich wurde bekannt, dass die spanische Küstenwache in der Meerenge von Gibraltar 627 Menschen in Flüchtlingsbooten registriert hat.
Bereits am Donnerstag stürmten 600 Migranten den Grenzzaun in Ceuta. Fast eineinhalb Stunden versuchten die spanischen und marokkanischen Grenzbeamten, die aus Regionen südlich der Sahara stammenden Flüchtlinge aufzuhalten. Diese seien allerdings so "brutal wie nie zuvor" gegen die in der Unterzahl befindlichen Beamten vorgegangen, erklärte ein Polizeisprecher.
Die Geflüchteten attackierten die Grenzschützer mit selbstgebauten Flammenwerfern und Branntkalk. Vier Beamte und elf Migranten wurden mit Verbrennungen, Verätzungen, Schnittwunden oder Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden insgesamt 132 Personen verletzt.
In den Tagen zuvor waren rund 900 Flüchtlinge auf See aufgegriffen worden. Am Dienstag rettete die spanische Küstenwache im Alboran-Meer und in der Straße von Gibraltar im westlichen Mittelmeer 484 Menschen. Am Mittwoch wurden 392 Personen in 31 Booten geborgen. Neben der weitgehenden Blockade der Balkanroute über Griechenland und der Schließung der italienischen Häfen für Flüchtlingsboote durch die neue rechtsgerichtete Regierung in Rom scheinen sich die Migrationsströme nach Europa nun wieder auf die westliche Route über Spanien zu konzentrieren.
Vor wenigen Tagen hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mitgeteilt, dass Spanien zum neuen Haupt-Zufluchtsort illegaler Migranten geworden sei. Bis Mitte Juli kamen demnach rund 18.000 Männer, Frauen und Kinder über die westliche Mittelmeer-Route in Europa an. Die Zahl der Flüchtlinge auf dieser Route habe sich 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdreifacht und übertreffe bereits die Ankünfte in Italien und Griechenland.
Die Aufnahmekapazitäten der temporären Auffanglager in Ceuta, Melilla und an der südspanischen Küste Andalusiens sind bereits so weit überschritten, dass die andalusische Menschenrechtsorganisation APDHA bereits von "unwürdigen Aufnahmeverhältnissen" spricht. Das Rote Kreuz richtete drei neue Auffanglager ein, um die große Zahl an Migranten überhaupt aufnehmen zu können.
Madrid will Klingen an Grenzzäunen entfernen
Ungeachtet des Flüchtlingsansturms hält die spanische Regierung an ihren Plänen fest, die umstrittenen messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen der Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu entfernen. "Ich nenne ungern Termine, weil das oft zu Enttäuschungen führt, aber die Entfernung soll unverzüglich erfolgen", sagte Innenminister Fernando Grande-Marlaska in einem Radiointerview. Madrid garantiere, dass das Sicherheitsniveau auch "mit weniger grausamen Mitteln beibehalten werden" könne.
Vorwürfe der Opposition, das spanische System zur Aufnahme von Migranten stehe angesichts der in den vergangenen Monaten gestiegenen Flüchtlingszahlen vor dem Kollaps, wies Grande-Marlaska zurück. Er warf der konservativen Vorgängerregierung vor, keine Maßnahmen ergriffen zu haben, "um dieser vorhersehbaren Entwicklung" zu begegnen. Das Vorhaben, die Klingen an den Zäunen zu entfernen, hatte die neue sozialistische Regierung Mitte Juni nur eine Woche nach der Amtsübernahme von Ministerpräsident Pedro Sánchez bekanntgegeben.
Die kilometerlangen Grenzzäune zwischen dem Territorium Marokkos und den spanischen Gebieten Ceuta und Melilla wurden 2005 erstmals mit Klingen versehen. Zwei Jahre später wurden sie wegen zunehmender Kritik zunächst entfernt, ehe die konservative Regierung von Mariano Rajoy im Jahr 2013 an den Grenzen der Exklaven wieder NATO-Draht mit Klingen anbringen ließ. Flüchtlinge, die über die gut sechs Meter hohen Zäune zu klettern versuchen, ziehen sich immer wieder Verletzungen zu. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Ärzten sind einige Menschen sogar verblutet. Trotzdem reißt der Strom der vorwiegend afrikanischen Flüchtlinge aus Ländern südlich des Sahara kaum ab.
sti/uh (dpa, kna)