"Keine Helden erzeugen"
24. Mai 2017Deutsche Welle: Mein Eindruck nach dem Anschlag von Manchester ist dieser: Zwar wird der mutmaßliche Attentäter porträtiert - aber meist ohne Bild und wenn doch, nicht im Vordergrund. Will man Terroristen nicht mehr so ins Scheinwerferlicht stellen, wie das in der Vergangenheit oft kritisiert wurde?
Joachim Trebbe: Es gibt unterschiedliche Methoden, sowohl in den Medien als auch von den Sicherheitsbehörden. In Manchester haben die Behörden relativ schnell eine Identitätszuschreibung vollzogen, den Namen aus ermittlungstechnischen Gründen aber zunächst nicht freigegeben. Das änderte sich im Laufe des Abends. Dann erst konnten die Medien entscheiden, ob sie den Namen publizieren.
Man sah ganz große Unterschiede: Medien, die eher auf Personalisierung setzen, die die Ereignisse fest machen wollen an der Person. Wo kommt der Attentäter her? Sieht er aus wie ein Ausländer oder als ob er zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehöre?
Medien, die eher strukturell berichten, fragen: War er Teil einer Gruppe? Gehört er zu einer bestimmten sozialen Gruppierung? Für sie steht die einzelne Person nicht so im Vordergrund.
In journalistischen Kreisen wird das natürlich diskutiert: Man will versuchen, keine Helden zu erzeugen, will keinen Täter auf einen Schild heben und zur Nachahmung anregen. Ähnlich ist es bei Suiziden. Auch hier wollen viele nicht zu personalisiert berichten, um Nachahmungen zu vermeiden.
Wie hat sich die Berichterstattung über Terroranschläge in den vergangenen Jahren entwickelt?
Journalisten reagieren stark auf bestimmte Signale. Das gilt für extreme Schäden wie auch extreme Überraschungen. Auf Terroranschläge trifft beides zu. Deshalb springen Redaktionen sofort darauf an: Jeder will als Erster vor Ort sein, die ersten Einblicke präsentieren. Jeder will die ersten Handy-Videos posten. Ich meine damit nicht, dass Journalismus da getrieben ist, denn Aktualität war und ist eines der wesentlichen Qualitätskriterien. Das führt aber natürlich auch dazu, dass man über Dinge spricht, über die man vielleicht noch nicht so genau Bescheid weiß.
Welche Rolle spielen die sogenannten sozialen Medien in dem Zusammenhang?
Die sozialen Medien haben für einen Druck aufs Gaspedal gesorgt, weil sich natürlich in den sozialen Medien Neuigkeiten viel schneller verbreiten als Nachrichten in den konventionellen Medien. Diesen Unterschied müssen wir lernen zu machen: dass in den sozialen Medien keine Nachrichten verbreitet werden, sondern Neuigkeiten. In den Massenmedien aber werden Nachrichten verbreitet. Und diese sollten einem gewissen Qualitätsstandard unterliegen.
Die meisten Nutzer sehen aber diesen Unterschied nicht. Sie erfahren von einem Anschlag, von einer Explosion und den Maßnahmen der Polizei - und sehen Bilder, die fast genauso sind wie die, die uns Journalisten liefern. Das ist ein Problem für den Journalismus: Einerseits ist da der Zugzwang, dieser neuen Aktualitätswelle zu folgen; andererseits gilt es, die anderen Qualitätsstandards wie Recherche, Objektivität und Wahrheit hochzuhalten. Und zu sagen: Moment, was man in den sozialen Medien erfährt, ist noch lange nicht, was wir als Wahrheit bezeichnen würden.
Die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher sagte bereits 1985 bei der Entführung eines Flugzeugs durch Hisbollah-Milizen, das Schweigen der Medien würde das Ende des Terrors bedeuten. Befeuert der Journalismus den Terrorismus?
Das kann man schon so sagen. Man kann es aber dem Journalismus nicht alleine zuschreiben, weil er nur ein Zahnrad im System ist. Die Befeuerung findet durch die freie, öffentliche Kommunikation in demokratischen Gesellschaften statt. Dadurch dass Medien - und alle anderen auch - jederzeit das Recht haben, sich frei zu informieren und darüber zu berichten, was sie sehen, kann man sich das als Terrorist sehr gut zunutze machen.
Eines der Ziele von terroristischen Anschlägen ist es eben, sehr schnell eine möglichst große Öffentlichkeit zu schockieren. Und das dadurch zu erreichen, dass man einen möglichst großen Schaden anrichtet. Das kann man nicht dem Journalismus vorwerfen, das ist eine Sache, die man in Kauf nehmen muss, wenn man mit einer freien, allen zugänglichen Öffentlichkeit leben will - erweitert durch soziale Medien.
Joachim Trebbe ist Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Das Gespräch führte Michael Borgers.