Eine starke Frau
1. Mai 2012Wäre Max Ernst auch ohne Luise Straus zum Superstar der modernen Kunst geworden? Vielleicht schon. Doch zweifellos hat ihm seine erste Ehefrau viele Türen geöffnet. "Max Ernst war ein aus Brühl kommender Provinzler", erzählt Professor Jürgen Wilhelm. Er ist Mitherausgeber des neuen Sammelbandes "Eine Frau blickt sich an", in dem nun erstmals Feuilletons und Erzählungen von Straus aus den Jahren 1933 bis 1941 nachzulesen sind.
"Max profitierte sehr davon, dass Luise die Kölner Kunst- und Museumsszene kannte. Und auch davon, dass sie eine große Wohnung hatte, in der regelmäßig DADA-Soireen stattfinden konnten." Für diese Treffen zog der Künstler Hans Arp extra von Zürich nach Köln um, reiste der Schriftsteller Tristan Tzara aus Paris an. Max und Luise stiegen schnell zum Glamourpaar der rheinischen DADA-Bewegung auf, die nach dem Ersten Weltkrieg mit provokativen Auftritten gegen die herrschende Werteordnung protestierte. "Die günstige Lage unserer Wohnung machte uns ganz von selbst zum Mittelpunkt all’ jener jungen Künstler, die in endlosen Gesprächen eine neue Welt aufzubauen dachten, zahllose Zigaretten rauchten und unentwegt Tee tranken", resümierte Straus selbst lapidar in ihrer Autobiografie "Nomadengut". Ihre Verdienste als Kunstförderin hat sie zeitlebens unterschätzt.
Eine der ersten Doktorinnen Deutschlands
Dabei war "Lou", wie Straus von Freunden genannt wurde, eine für ihre Zeit ungewöhnlich emanzipierte, selbstbewusste und gebildete Frau. 1893 als Tochter eines jüdischen Hutfabrikanten in Köln geboren, schloss sie als eine der ersten Frauen Deutschlands überhaupt ihr Kunstgeschichtsstudium 1917 mit einer Promotion ab. Danach wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wallraf-Richartz-Museums, 1919 sogar dessen kommissarische Leiterin. Den zwei Jahre älteren Lehrersohn Max Ernst hatte die Studentin vorher an der Uni Bonn kennengelernt.
Obwohl die Eltern beider Seiten strikt gegen diese jüdisch-katholische Verbindung waren, heirateten Max und Luise gleich nach Kriegsende 1918. Zwei Jahre später wurde Sohn Jimmy geboren. Doch das Eheglück währte nur kurz, weil sich Max Ernst Hals über Kopf in Gala verliebte, die notorisch "männerverschlingende" Ehefrau seines Dichterfreundes Paul Éluard. Kurzerhand trennte er sich 1922 von Luise, die von da an gezwungen war, ihren Sohn Jimmy alleine groß zu ziehen.
Reportagen und Feuilletons aus Paris
Trotz der sozialen Ächtung als alleinerziehende Mutter schaffte es Luise Straus, sich in den folgenden Jahren zur anerkannten Kunstkritikerin hochzuarbeiten, die für so renommierte Zeitschriften wie "Der Querschnitt" schrieb. Nach 1933 aber wurde die Lage für sie als Jüdin so bedrohlich, dass sie – wie viele andere verfolgte Intellektuelle – vor den Nazis nach Paris floh. Hier musste sie sich als Autorin noch einmal völlig neu erfinden. Denn Kunstkritiken aus dem Land des Erzfeindes waren in Deutschland nun verpönt. Also schrieb die Emigrantin Reportagen, Porträts und kleinere Erzählungen aus Paris, die in "Eine Frau blickt sich an" jetzt noch einmal neu herausgegeben werden.
Die Themen waren vielfältig: Ein Atelierbesuch beim Architekten Le Corbusier, der moderne Autoverkehr, ein Abend im Varieté oder auch die Launen der Liebe. Und alle diese Zeitungstexte von 1933 bis 1941 sind schon deshalb faszinierende Zeitzeugnisse, weil sich Straus hierin als genaue Beobachterin erweist, die gern hinter die Glitzerfassade der Mode- und Bohème-Metropole blickt. Mit psychologischem Gespür, aber dennoch humorvoll erzählt sie oft gerade von den gescheiterten, abgebrannten und verzweifelten Glückssuchern - und macht sich durchaus selbstironisch auch immer wieder über die Selbsttäuschungen und die Schnorrermentalität vieler Möchtegern-Künstler lustig.
Verweigertes Visum in die USA
Die Risiken ihrer eigenen Situation aber wollte Luise Straus anscheinend lange nicht sehen. In ihrer Autobiografie bekannte sie: "Bezaubert von der heiteren, ungebundenen, aber im Grund völlig aussichtlosen Existenz habe ich vielleicht damals einen Fehler begangen. Ich hätte nach Amerika gehen sollen. (...) Aber wir glaubten damals nicht an eine Katastrophe, wollten nicht daran glauben." Als die Verfolgte diese Sätze irgendwann 1941 oder 1942 notiert, ist es für eine Rettung bereits zu spät.
Mit ihrem neuen Partner, dem Fotografen Fritz Neugass, ist Straus von Paris nach Südfrankreich weitergeflohen. Hier aber wird ihr Antrag auf ein USA-Visum abgelehnt. Das Angebot des nach New York emigrierten Max Ernst, sie nochmals pro forma zu heiraten und ihr so die Ausreise zu ermöglichen, lehnt Luise ab. Stattdessen taucht sie im Haus des Schriftstellers Jean Giono in Manosque unter und schreibt fieberhaft an ihrer Autobiografie. Ende April 1944 wird sie dann schließlich doch noch verhaftet – und im Juni, in einem der letzten Züge, von Paris aus nach Auschwitz deportiert. Nur fünf Wochen, bevor die Alliierten in der Normandie landeten.
Luise Straus: Eine Frau blickt sich an. Reportagen und Erzählungen 1933-41. Mit einführenden Beiträgen von Jürgen Pech, Achim Sommer, Werner Spies und Jürgen Wilhelm, 200 Seiten, Greven Verlag, Köln 2012, 18 Euro, ISBN 978-3774304949