Mehr als schrecklich? Die Gewalt der Bilder
10. Oktober 2019Eine Szene aus einem Film: Der Patient ist sichtlich unzufrieden mit seiner Therapeutin. "Sie stellen mir jede Woche die selben Fragen. 'Wie läuft's im Job? Haben Sie irgendwelche negativen Gedanken?' Ich habe ausschließlich negative Gedanken." Arthur Fleck, der das voller Bitterkeit auf der Leinwand sagt, wird später töten. Und das Hollywood-Kino wird zeigen, wie brutal das Töten ist.
Zynische Ironie
Muss man das sehen? Arthur Fleck ist der Titelheld ( ... Held?) im neuen Hollywood-Blockbuster "Joker", preiswürdig gespielt von Joaquin Phoenix. Dass der Film in Deutschland einen Tag nach den ekelhaften Ereignissen von Halle anläuft - eine zynische Ironie der Geschichte.
In den USA haben sich Angehörige des Massakers von Aurora an die Produzenten von Warner Bros. gewandt, besorgt darüber, wie in dem Streifen das Morden durch "Joker" gezeigt wird, ja, dass es überhaupt gezeigt wird. Warner sah sich daraufhin zu der Klarstellung veranlasst, dass der Mann kein Held sei. Zur Erinnerung: Bei der Premiere des Vorgänger-Films "Batman - The Dark Knight Rises" hatte in Aurora in Colorado 2014 ein Mann in die Menge gefeuert. Zwölf Menschen starben, 70 weitere wurden verletzt.
Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
Und jetzt also: Joker. Schon nach einer Woche hat er in den USA die Rekordsumme von rund 13 Millionen Dollar eingespielt. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtet über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an amerikanischen Kinos. Der deutsche Verleih Warner Bros. in Hamburg ließ am Donnerstag eine Anfrage unbeantwortet, ob er Kenntnis über solche Maßnahmen an deutschen Lichtspielhäusern habe.
Und das alles am Tag nach dem grausamen Anschlag in Halle, wo eine jüdische Gemeinde nur knapp einer Katastrophe entging und zwei Menschen sterben mussten. Die Bilder davon - wie aus einem schlechten Film. Die meisten Redaktionen in Deutschland (auch die der Deutschen Welle) verzichten darauf, sie zu zeigen. Denn: Gewaltaufnahmen können einen Nachahmer-Effekt erzeugen. Außerdem ist davon auszugehen, dass Attentäter - wie der mutmaßliche Schütze von Halle - ihre Bilder auch deshalb ins Internet stellen oder sogar live streamen, weil sie gesehen werden wollen.
Eine Glorifizierung oder zumindest ein Herzeigen, an dem Journalismus kein Interesse haben kann. Der Psychologe Mirko Allwinn vom "Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement" in Darmstadt warnte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei solchen Gewaltakten vor einer Fokussierung der Medien auf die Täter. "Vielversprechend ist es, einer solchen Tat andere mächtige Bilder entgegenzusetzen, ein Gegenbild zu schaffen", so der Psychologe. Ein Gegenbild, das kann zum Beispiel die Solidarität mit den Opfern sein.
Doch wie ist es im Kino, beim "Joker" - oder in all den Serien, die uns Netflix und andere mittlerweile ins Haus senden? "Der Aufschrei ist berechtigt, aber natürlich darf das Kino so etwas", sagt der Pforzheimer Professor Thomas Hensel, der sich mit diesen Fragen unter dem Blickwinkel der Kunsttheorie beschäftigt. "Jeder Zuschauer weiß doch: Das ist extrem überzeichnet, was ich gerade hier sehe. Das ist nicht die Wirklichkeit." Und wenn, wie in Aurora, doch ein Täter zur Waffe greift? "Dann ist der Film nicht der Auslöser dafür, es muss eine Veranlagung oder Neigung oder Voreinstellung vorhanden sein - die durch einen Film natürlich verstärkt werden kann."
Verfeinerung der Sinne, Verrohung der Sitten
Dass wir durch solche Bilder, durch Gewaltdarstellungen immer abgestumpfter würden, kann der Forscher nicht erkennen. "Es ist eine komplexe Frage. Sicherlich erleben wir eine Verrohung der Sitten. Aber auch eine Verfeinerung der Sinne."