Mehr Geld, mehr Glück?
30. August 2012Ein Autofahrer baut einen Unfall. Die Versicherung zahlt, zwei Autos werden repariert. Die Zahlungen rechnen die Statistiker in das Bruttoinlandsprodukt ein, die Summe der jährlich produzierten Waren und Dienstleistungen. Das signalisiert Wachstum - obwohl nur der Status Quo erhalten wurde, wenn beide Autos nach der Reparatur wieder fahren.
Ob es allen Bürgern nach einem kräftig gewachsenen Bruttoinlandsprodukt besser geht, sollte man Gert Wagner besser nicht fragen. Der Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist in Kelsterbach aufgewachsen, in der Nähe des größten deutschen Flughafens in Frankfurt. Wagner rechnet anders: Mehr Wachstum, mehr Flüge, mehr Fluglärm, weniger Lebensqualität.
Wagner ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages. Die bemüht sich seit Anfang 2011, eine Methode zu entwickeln, die mehr erfasst als das schiere Bruttoinlandsprodukt. "Wir brauchen einen neuen Indikator, der die objektiven Voraussetzungen eines subjektiv als zufriedenstellend und gelungen empfundenen Lebens in der Gesellschaft misst", sagt die Vorsitzende der Kommission, die Leipziger SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe.
Auf der Suche nach dem "Bruttonationalglück"
Seit Jahren suchen Experten in aller Welt nach einer Alternative zum BIP, dieser harten Zahl, die allein das ökonomische Wachstum erfasst, aber nichts über Lebensqualität aussagt. Die Ansätze sind vielfältig, die Schwerpunkte verschieden. Der Human Development Index der Vereinten Nationen zum Beispiel kombiniert das Pro-Kopf-Einkommen mit der durchschnittlichen Lebenserwartung - für beide Größen gibt es weltweit verlässliche Statistiken. Andere versuchen, rein subjektive Empfindungen zu messen wie das "Bruttonationalglück" (Gross National Happiness) des Königreichs Bhutan oder der australische "Wellbeing Index".
Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski hat nun ein weiteres Modell vorgestellt. Für seinen "Nationalen Wohlstandsindex" hat der Hamburger Experte mit dem Marktforschungsinstitut Ipsos 2000 Bundesbürger danach befragt, was für sie Wohlstand bedeutet. Das Ergebnis: In der Krise setzen die Menschen vor allem auf Sicherheit. Statt Genuss oder Luxus suchen sie zuallererst mal Schutz vor existenziellen Risiken. Mit den Worten Opaschowskis: "Die fetten Jahre sind vorbei - das Schlaraffenland ist abgebrannt."
Geld? Spielt eine große Rolle. Natur? Unwichtig
Mit anderen Worten: Geld ist nicht alles, spielt aber doch eine große Rolle. So definieren die Bundesbürger ihren Wohlstand vor allem über finanzielle Belange, hat Opaschowski herausgefunden: 71 Prozent gaben an, Wohlstand sei für sie, wenn sie sich keine finanziellen Sorgen machen müssten. 65 Prozent wünschten sich ein sicheres Einkommen, 62 Prozent einen gesicherten Arbeitsplatz. "Wohlhabend ist der, der sicher und sorgenfrei leben kann", fasst Opaschowski die deutschen Befindlichkeiten zusammen.
Umweltfragen dagegen liegen am Ende der Skala: In einer Welt zu leben, die gut mit der Natur umgeht, hält nur ein knappes Viertel der Befragten für wichtig. Nur 15 Prozent sehen in der Nutzung von erneuerbaren Energien eine Form von Wohlstand. Auch in der Kategorie "Gesellschaftlicher Wohlstand" blieben die Werte niedrig: 36 Prozent nannten "in Frieden mit den Mitmenschen leben" als Wohlstandsmerkmal, 33 Prozent ist es wichtig, die Meinung frei äußern zu können, 24 Prozent wollen in einer toleranten Welt leben.
Ob Opaschowski mit seinem Nationalen Wohlstandsindex den Stein der Weisen gefunden hat, bleibt abzuwarten. Bei der ersten Erhebung erreichte der neue Index den Wert 42,4, bei einem möglichen Höchstwert von 100. Da gebe es in einem reichen Land wie Deutschland noch viel Luft nach oben, sagte Hans-Peter Drews vom Marktforschungsinstitut Ipsos.
Das gilt auch für die Arbeitsgruppe "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages. Die sucht nämlich noch immer nach einem geeigneten "Fortschrittsindikator". Der müsste nicht nur pragmatisch, einleuchtend und leicht kommunizierbar sein, sondern auch noch international anerkannt und vergleichbar. Da wartet noch viel Arbeit auf die Parlamentarier in Berlin.