Mehr Sicherheit für Näherinnen
15. Mai 2013Das hatten die Textilarbeiterinnen nicht erwartet, als sie in den vergangenen Tagen zu Tausenden auf die Straße gingen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Die Nachricht, dass Fabriken geschlossen wurden und die Schließung vieler weiterer unmittelbar bevorsteht, sei ein Schock für viele gewesen, berichtet Shireen Huq, Frauenaktivistin und Gründerin der Frauenrechtsorganisation Naripokkho. "Die Arbeiterinnen haben protestiert, damit ihre Forderungen ernst genommen werden. Sie haben ganz sicher nicht das Ende ihrer Fabriken gewollt. Die Schließungen schaden ihnen sehr - auch wenn sie ohnehin keine anständigen Löhne erhalten."
Ende April war ein achtstöckiges Geschäfts- und Fabrikgebäude in Savar, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka, eingestürzt. Nach offiziellen Angaben wurden 1.127 Leichen geborgen und 2.438 Verletzte gerettet. Als Konsequenz aus dem Unglück hatte die Regierung zunächst 22 Fabriken geschlossen, in denen die Sicherheit der Arbeiter nicht gewährleistet war, berichtet Amirul Haque Amin, Vorsitzender des Textilarbeiter -Gewerkschaftsbundes NGWF (National Garments Workers Federation) Bangladesch. "Dies ist aus unserer Sicht richtig, weil die Menschen am Arbeitsplatz keinen Gefahren ausgesetzt sein dürfen. Aber wir bestehen in diesen Fällen auf fortlaufende Gehalts- und Kompensationszahlungen für die Arbeiter."
"Verhandeln statt Schließen"
Im Industriekomplex Ashulia, unweit des eingestürzten Gebäudes, sollen hunderte Textilfabriken geschlossen werden. Dort produzieren etwa 500 Fabriken, darunter die wichtigsten des Landes. Textilhersteller und -exporteure begründeten den Schritt mit den jüngsten Protesten der Arbeiter. Am Montag (13.05.) hatten die Arbeiter von rund 400 Fabriken ihre Arbeitsplätze verlassen. Sie forderten höhere Löhne und die Hinrichtung des Eigentümers des eingestürzten Gebäudes. Amirul Haque Amin hält Fabrikschließungen für falsch: "Sie sind nicht gut für die Arbeiter und auch nicht für die Unternehmer. Die Arbeiter brauchen Verhandlungen. Die Fabrikbesitzer sollten diese Verhandlungen ermöglichen. Fabrikschließungen werden weder die Unruhen verhindern, noch den Konflikt lösen."
Viele Textilarbeiterinnen fürchten nun um ihren Arbeitsplatz. Shilpi Akhtar ist eine von ihnen. Die 25 jährige arbeitet als Näherin in der Firma "Star Garments" in Dhaka. Ihr Ehemann ist arbeitslos, sie ernährt die fünfköpfige Familie mit einem Lohn von rund 46 Euro im Monat. "Es ist schwer für unsere Familie, wirtschaftlich klarzukommen", sagt sie. "Was wir brauchen, sind nicht Fabrikschließungen, sondern höhere Löhne und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz."
Mindestlohn und Gewerkschaften
Unter dem Druck der nationalen und internationalen Öffentlichkeit hat die Regierung Bangladeschs inzwischen reagiert. Sie hat entschieden, den gesetzlichen Mindestlohn anzuheben, der derzeit bei etwa 30 Euro pro Monat liegt. Noch ist allerdings nicht klar, wann das Gremium aus Vertretern von Regierung, Arbeitgebern und Arbeitern die Höhe des neuen Mindestlohns festsetzen wird. Außerdem beschloss die Regierung eine Gesetzesänderung, die Fabrikarbeitern erlaubt, sich zukünftig in unabhängigen Gewerkschaften zusammenschließen und Lohnverhandlungen zu führen. Der genaue Wortlaut dieser Gesetzesänderung sei noch nicht öffentlich zugänglich, so Gewerkschaftsführer Haque Amin, der sich daher noch nicht näher dazu äußern will.
Frauenaktivistin Shireen Huq ist weniger zurückhaltend. Das Recht der Arbeiter auf Mitgliedschaft in Gewerkschaften sei seit langem eine zentrale Forderung, betont sie gegenüber der Deutschen Welle. "Wenn die Arbeiter gewerkschaftlich organisiert gewesen wären, hätte sie niemand zwingen können, an dem Tag zu arbeiten, als das Gebäude einstürzte." Doch nicht alle Gewerkschaften seien gleich.
"Die Gewerkschaftsbewegung in Bangladesch ist sehr gespalten und orientiert sich entlang der politischen Parteilinien. Viele Gewerkschaften vertreten stärker die Interessen der Parteien als die der Arbeiter, zum Beispiel wenn sie hunderttausende Arbeiter mobilisieren, um auf Parteikundgebungen Massenpräsenz zu zeigen. Es ist daher unbedingt notwendig, dass die Gewerkschaften, die im Textilsektor gegründet werden, unabhängig sind von politischer Einflussnahme."
Nationaler Dialog
Shireen Huq ist Teilnehmerin des "Nationalen Dialogs", einer Diskussionsrunde in Dhaka, die Regierungsvertreter, Unternehmer, Gewerkschaften und Vertreter der Zivilgesellschaft an einen Tisch bringt. "Gemeinsam wollen wir sicherstellen, dass sich solch ein Unglück nie wieder ereignet". Die Teilnehmer haben fünf grundlegende Erfordernisse ausgemacht: Neben höherem Grundlohn und Gewerkschafts-Mitgliedschaft geht es vor allem um mehr Sicherheit am Arbeitsplatz, vom Arbeitgeber anteilig finanzierte Lebens- und Unfallversicherung sowie eine bessere Gesundheitsversorgung für die Beschäftigten.
"Wir wollen aber auf keinen Fall, dass die ausländischen Einzelhändler und Kunden Bangladesch verlassen. Manche haben gesagt, sie wollen keine Kleidung mehr in Bangladesch kaufen. Das ist die falsche Antwort. Wir brauchen mehr Sicherheit im Textilsektor, der die größte Zahl weiblicher Arbeitskräfte in diesem Land beschäftigt. Die Tatsache, dass die Frauen in der Kleidungsindustrie arbeiten, hat eine positive Auswirkung auf das soziale Gefüge dieser Gesellschaft. Sie hat auch das Leben der Frauen und ihrer Familien positiv verändert."
Inzwischen zeigt sich auch auf internationaler Ebene Bewegung: Einige der größten Einzelhandelsunternehmen der Welt haben zusammen mit der Internationalen Arbeitsorganisation und Gewerkschaften eine auf fünf Jahre angelegte Vereinbarung ausgehandelt. Die neuen Regeln sollen eine Stärkung der Arbeitsrechte, höhere Gebäudesicherheit mit mehr Brandschutz, bessere Ausbildung sowie finanzielle Unterstützung enthalten. Wenn sie tatsächlich umgesetzt werden, bricht für Textilarbeiterinnen wie Shilpi Akthar eine neue Ära an - mit mehr beruflicher und wirtschaftlicher Sicherheit.