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Meine Berlinale, 1. Tag

11. Februar 2011

Heiß ersehnt, der Eröffnungsfilm. Jetzt geht's los. Diesmal war's ein Western. Noch dazu einer von den berühmten Coen-Brüdern. Doch das war nur billiger Kintopp - meint Jochen Kürten in seinem Berlinale-Tagebuch.

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Filmredakteur Jochen Kürten
Jochen KürtenBild: DW

Manchmal fängt die Berlinale schon im Taxi an. Auf dem Weg zum Flughafen komme ich mit dem Fahrer ins Gespräch. Der ist Perser, ich bin schon öfters mit ihm gefahren. Ab und zu reist er in seine Heimat und erzählt mir davon. Zu den Filmfestspielen nach Berlin fahre ich heute, und dass diesmal eine ganze Menge Filme aus dem Iran laufen, erzähle ich. Das sei gar nicht so geplant gewesen, erst die Verurteilung des Regisseurs Jafar Panahi, der eigentlich als Jurymitglied geladen war und nun natürlich nicht kommen kann, habe dazu geführt. Jetzt gebe es Diskussionen und Sondervorführungen, das sei ein großes Thema dieses Jahr. Gut, wenn darüber berichtet werde, meint mein Taxifahrer, die Zustände in der Heimat seien schlimm. Und dann erzählt er mir eine Geschichte. Von einem jungen Bekannten, einem Studenten, der 2009 während der "Grünen Revolution" in Teheran verhaftet worden sei, nur weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Eine Woche habe man ihn in einem feuchten Kellerloch festgehalten, nicht stehen und nicht liegen konnte er. Erst dann sei ihm lapidar mitgeteilt worden, dass es sich um eine Verwechslung handelte. Der junge Mann habe danach nicht mehr weiterstudieren können, er sei daran schlichtweg zerbrochen.

Filmstill Offside von Jafar Panahi (Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin)
Jafar Panahis Film "Offside" wurde auf der Berlinale 2006 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Als ich dann im Kino sitze, im ersten Film, einem leicht humorigen Western, fällt mir diese Geschichte wieder ein. Was für ein Privileg ist es doch, hier in Berlin zu sein, um Filme zu gucken. Vielleicht geht mir die Geschichte aber auch nur nicht aus dem Kopf, weil "True Grit" mich langweilt und maßlos enttäuscht. An einen Eröffnungsfilm knüpfen sich ja immer unglaubliche Erwartungen. Während der Wochen vor dem Festival kommen immer wieder schubweise Pressemitteilungen, wer alles kommt, welche Filme gezeigt werden, was an Neuem alles zu erwarten ist. Irgendwann hieß es dann, das neue Werk der amerikanischen Brüder Joel und Ethan Coen eröffne in diesem Jahr die Berlinale. Phantastisch, dachte ich, die Coens, die haben doch schon so viele blitzgescheite, wunderbar verspielte Filme gemacht. Und dann auch noch mit Jeff Bridges in der Hauptrolle, der seine genialste Rolle im Coen-Film "The Big Lebowski" hatte und seitdem Kult ist. Die Coens hatten auch meinen ganz persönlichen Lieblingsfilm des letzten Jahres gedreht, "A Serious Man", ein in seinem überspitzten, absurden Humor kaum zu übertreffendes Paradestück des modernen Kinos.

Routinierte Neuauflage eines Spätwesterns

Da konnte eigentlich doch nichts mehr schief gehen. Ging es aber doch. Und wie. Zumindest für mich. Wenn man heute, im Jahr 2011, einen Western dreht, dann muss man dem Genre doch irgendetwas Originelles abgewinnen. Dachte ich. Aber "True Grit" ist nur ein sehr, sehr konventionell gemachter Spätwestern, in dem man einen alten, abgehalfterten, zynischen und versoffenen US-Marshall dabei beobachten darf, wie er von einer jungen Göre durch die Prärie gescheucht wird, um den Mörder des Vaters des Mädchens zu finden. Das hört sich vielleicht jetzt sogar noch originell an. Doch wer sich einigermaßen in der Geschichte des Westerns auskennt, der weiß, dass es solche Figuren schon vor dreißig Jahren gegeben hat, Westerner, die vom Pferd fallen und immer daneben schießen. Über die man dann lachen konnte. Das war damals witzig und auch ein bißchen klug, weil es den Mythos des amerikanischen Ur-Helden dekonstruiert hat. Heute ist das nur noch langweilig. Für mich zumindest. Andere haben sich amüsiert. Also doch wieder nur ein mäßiger Eröffnungsfilm, wie so oft in den letzten Jahren. Vielleicht sollte man einfach erst am zweiten Tag zum Festival anreisen.

Die Regisseure Joel (l.) und Ethan Coen bei der Eröffnung der Berlinale 2011 (Foto: dpa)
Die Brüder Joel (links) und Ethan Coen am Eröffnungsabend der 61. BerlinaleBild: dapd

Es kann also nur noch besser werden. Hoffentlich. Ganz bestimmt. Auf ein paar Filme freue ich mich wirklich. Der junge deutsche Andres Veiel, der bisher so aufregende Dokumentationen über die jüngere deutsche Zeitgeschichte gemacht hat, kommt mit seinem ersten Spielfilm. Der ungarische Regie-Exzentriker Béla Tarr entführt wieder in fremde, geheimnisvolle Welten, auch er zeigt seinen neuen Film im Wettbewerb. Bei manchen Filmen reizt mich schon allein der Titel, "Schlafkrankheit" etwa heißt ein Film, "Rätselhafte Welt" ein anderer, das sind Versprechen. Oder Filme mit Schauspielern wie Ralph Fiennes und Kevin Spacey. Oder das Filmexperiment dreier deutscher Regisseure im Forum, die alle die gleiche Geschichte verfilmt haben, jeder aber in seiner ganz eigenen Formsprache. Oder die Wiederbegegnung mit alten Ingmar Bergman-Filmen, die sowieso die meisten neuen Filme in den Schatten stellen, aber das ist ja bei Retrospektiven häufig so. Oder eben auch die Filme des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der im Dezember zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und zu 20-jährigem Berufsverbot. Ich werde meinem Taxifahrer davon erzählen.


Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Claudia Unseld