Mein Deutschland: SPD - aus Eisen wird kein Stahl
25. Mai 2017Meine Neugierde auf Deutschland brachte mich im Frühjahr 1993 auf die Idee, in eine Partei einzutreten, um die deutsche Politik von innen kennenzulernen. Von der CDU fühlte ich mich als Nichtchristin allein schon vom Namen her ausgeschlossen. Bei den kleineren Parteien blickte ich nicht wirklich durch. Also blieb nur die SPD übrig. In China habe ich gelernt, dass zwei Drittel der Menschheit in Elend leben, deren Befreiung sich die Kommunisten zum Ziel gesetzt haben. Damit sind zwar nicht die Deutschen gemeint, aber für die Rechte der Armen hat sich die Partei von August Bebel von Anfang an eingesetzt. Das finde ich sympathisch. Weit mehr als sympathisch fand ich den damaligen Parteivorsitzenden Björn Engholm. Ein Mann mit intellektueller und erotischer Ausstrahlung - eine einmalige Mischung!
Als Kostprobe besuchte ich eine lokale SPD-Sitzung mit dem Schwerpunkt Bildungspolitik. "Sollten Mädchen und Jungen getrennte Schulen besuchen?" stand an dem Abend zur Diskussion. Ich fiel aus allen Wolken: Lebten die noch im 19. Jahrhundert? Wie eine Frau, die beim ersten Date einen gut aussehenden Mann mit Humor und Spirit erwartet, stattdessen einen trockenen Juristen vorfindet, der über Paragrafen philosophiert, rutschte meine Hochstimmung innerhalb von Sekunden in den Keller. Ernüchtert kehrte ich heim. Das jähe Ende der politischen Karriere von Björn Engholm gab mir dann den Rest.
Auch ohne Parteibuch schlug mein Herz weiter links. Damals waren die zwei Lager noch deutlich voneinander zu unterscheiden. Witze wie der über den 90-jährigen Sozialdemokraten, der kurz vor seinem Tod die SPD verließ, um der CDU beizutreten mit der Begründung "Dann stirbt wenigstens einer von denen", bereiteten mir diebische Freude.
Ein begnadeter Redner
Der nächste SPD-Spitzenmann, der mir imponierte, war Gerhard Schröder. Zwar hatte er bei seiner Regierungsarbeit nicht mehr wirklich die Armen im Fokus, dafür machte er das Land fit für die Zukunft und riskierte dabei seine Kanzlerschaft. Auf dem Bonner Münsterplatz erlebte ich im Spätsommer 2005 den Wahlkämpfer Schröder. Mit heiserer Stimme wetterte er gegen jenen Professor aus Heidelberg, der das Steuersystem radikal vereinfachen wollte. Es könne nicht sein, dass der Chefarzt und die Krankenschwester gleich viel Steuern zahlen müssten, schimpfte Schröder.
Das war so einleuchtend wie falsch. Denn würden alle denselben Steuersatz von 25 Prozent zahlen, wie der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof vorschlug, wäre der Beitrag des Chefarztes natürlich viel höher als der der Krankenschwester (Bei gleichem Prozentsatz gilt: Je höher der Grundwert, desto höher der Prozentwert). Aber Wahlkampf ist eben Emotion und keine Mathematik. Schröder brachte mein Blut in Wallung und bekam dafür meine Stimme.
Seitdem ist die Politik in Deutschland sterbenslangweilig geworden. Denn seit fast zwölf Jahren regiert Angela Merkel mit einer ruhigen Hand, die sie vor den Kameras zu einer Raute formt und ansonsten das Wahlvolk zum Einschlafen streichelt. Die einst so stolze SPD hat die Kanzlerin zu einem immer kleineren Partner schrumpfen lassen. Das schaffte sie, indem sie die Union sozialdemokratisiert hat. Laut Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer ist Angela Merkel die Erste im Kanzleramt, die das SPD-Parteibuch wirklich ernst nimmt.
Die Hauptschuld an ihrem heutigen Desaster trägt aber die SPD selber. In Zeiten der Startup-Politiker wie Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz ist Martin Schulz schlicht der falsche Kandidat. Dass er dieselbe Platte der sozialen Gerechtigkeit wieder und wieder auflegt, macht die Sache noch schlimmer. Ganz ehrlich: Hat der SPD-Kanzlerkandidat ernsthaft damit gerechnet, in einem Land der rekordverdächtig niedrigen Arbeitslosigkeit und der historisch hohen Sozialausgaben mit dem Anprangern der sozialen Ungerechtigkeit punkten zu können?
Der omnipräsente Ulrich Schneider
Im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum ist gerade die Sonderausstellung "Aufstand" zu sehen. Darin hat die Künstlerin den Bauernaufstand und den Weberaufstand thematisiert. Ihre Botschaft für ihre Zeitgenossen: Wenn die soziale Ungerechtigkeit weiter anwächst, ist der nächste Aufstand programmiert. Das passte zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts, aber nicht mehr zum heutigen Deutschland, wo wir mit Steuergeldern einen Paritätischen Wohlfahrtsverband finanzieren, dessen Repräsentant Ulrich Schneider in jeder Talkshow für noch mehr Umverteilung plädiert.
Sicherlich gibt es hier und da Ungerechtigkeiten, die die Regierung beseitigen könnte. Aber als Hauptwahlkampfthema einer Volkspartei taugt es nicht. Aus der Sicht der SPD schon gar nicht, schließlich hat sie ja die meiste Zeit in diesem noch jungen Jahrhundert mitregiert.
Und das besonders Fatale: Die Parteifunktionäre haben sich so weit von der Stammwählerschaft entfernt, dass sie sich nun die Augen reiben, warum die SPD bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen ihre Hochburgen reihenweise an die AfD verloren hat. Die Zuwanderung und damit verbunden die innere Sicherheit sind die beiden Themen, die nicht nur den SPD-Stammwählern, aber vor allem den SPD-Stammwählern aus den einfacheren Bevölkerungsschichten unter den Nägeln brennen.
Zwangsbeglückung gehört zum Markenzeichen der SPD
Wie die Partei nun panisch versucht, das Ruder herumzureißen, kann einem schon leidtun. Auf einmal wird im Willy-Brandt-Haus auch über die innere Sicherheit gesprochen. Und über gebührenfreie Kitas. Das Problem ist nur, dass Eltern mit einem niedrigen Einkommen bisher schon wenig bis nichts für einen Kita-Platz zahlen. Profitieren werden vor allem Besserverdienende. Zu mehr sozialer Gerechtigkeit wird das kaum führen, eher zur minderen Qualität der Betreuung mangels Geld.
Ansonsten stellt die SPD wieder einmal ihr sicheres Gespür unter Beweis, Wähler zu verprellen. So mischt sich Außenminister Sigmar Gabriel immer wieder in den Wahlkampf ein und fordert mehr Umverteilung auf europäischer Ebene. Gleichzeitig will die Partei sich nicht auf das Niveau von Union und FDP herablassen und in den Steuersenkungswettkampf einsteigen. Dabei vergisst sie, dass Steuerzahler Menschen sind, keine altruistisch gesinnten Heiligen. Wenigstens alle vier Jahre wollen sie für kurze Zeit von den Parteien umschmeichelt werden und sich von der Rolle der ewigen Melkkuh erholen.
Nun bin ich heilfroh, das Eintrittsformular vor 24 Jahren nicht ausgefüllt zu haben. Auch aus dem Alter des Idealismus bin ich längst raus. Am 24. September werde ich der Partei meine Stimme geben, die das beste Konzept für die Zukunft meiner Kinder bietet.
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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