"Mein Kampf": Wegsperren oder erforschen?
13. Dezember 2013Das renommierte "Institut für Zeitgeschichte" bleibt dabei. Es wird eine historisch-kritische Ausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf" geben: "Als unabhängige Forschungseinrichtung wird das Institut für Zeitgeschichte dieses Ziel in eigener Verantwortung weiter verfolgen und die Edition fristgerecht zum Ablauf der urheberrechtlichen Sperrfrist Ende 2015 veröffentlichen." So erklärt es der Direktor des Instituts, Andreas Wirsching.
Damit reagiert er auf die zunächst mit großer Überraschung wahrgenommene Nachricht der bayerischen Staatsregierung, die finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens zu stoppen. Diese hatte erklärt, das Buch sei "volksverhetzend" und eine kritische Ausgabe im Namen Bayerns lasse sich nicht mit einem gleichzeitig angestrengten NPD-Verbotsantrag vereinbaren. Unterstützung hatte sie dabei auch von der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, bekommen: "Hitlers Machwerk ist von Hass und Menschenverachtung durchdrungen und erfüllt Experten zufolge den Tatbestand der Volksverhetzung."
Die Entscheidung der Landesregierung gleicht einer Vollbremsung: Seit Jahren bemüht sich ein Team von Wissenschaftlern im Münchner Institut, eine der großen Forschungslücken der Zeitgeschichtsforschung zu schließen. Die Notwendigkeit ihrer Arbeit war und ist unter Wissenschaftlern unbestritten: Wenn man nämlich so will, wird in Deutschland viel über "Mein Kampf" gesprochen, es wird aber wenig von diesem Buch gewusst: Obwohl es das einzige autobiographisch eingefärbte Dokument des Diktators ist, fehlen eingehende Analysen zu Entstehung, Struktur und vor allem zur Wirkung des Buches.
Mythos "Mein Kampf"
Beispielhaft dafür hält sich bis heute die Legende von "Mein Kampf" als einem sozusagen "ungelesenen Bestseller". Millionen hätten das Buch zwar gekauft (oder geschenkt bekommen), aber gelesen habe man es – natürlich – nicht. "Der Mythos vom ungelesenen Buch war damit ein Produkt vor allem von ehemaligen Anhängern Hitlers; ein Mythos, der sich nach 1945 in die Rechtfertigungsstrategien der frühen Nachkriegsjahre einfügte und dort eine lang anhaltende Wirkung erzielte." So urteilt der Historiker Othmar Plöckinger in seiner vor wenigen Jahren erschienenen Studie über die Geschichte des Buches (übrigens eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte). Es wäre die Aufgabe einer historisch-kritischen Ausgabe, auch diese Frage der Rezeptionsgeschichte zu klären.
Die Münchner Historiker befinden sich mit ihrer Arbeit an einer wissenschaftlich-kritischen Edition zugleich in einem regelrechten Wettlauf gegen die Zeit: Ende 2015 – 70 Jahre nach dem Todesjahr Hitlers – laufen die Urheberrechte an "Mein Kampf" aus, die beim Freistaat Bayern liegen. Bislang konnte eine (Wieder-) Veröffentlichung des Buches einfach damit verhindert werden, dass die Rechte an einer Auflage nicht erteilt wurde. Doch mit dem 31.12.2015 erlischt das Urheberrecht. Bislang war man davon ausgegangen, dass danach praktisch jeder Verlag das Werk hätte drucken können. Um das aber zu verhindern, hat die bayerische Staatsregierung erklärt, dass sie in einem solchen Falle Strafanzeige wegen Volksverhetzung stellen werde. Und doch ist die Hetzschrift bereits jetzt im Internet frei verfügbar. Auf etlichen legal in Deutschland operierenden Internetplattformen wie ebay sind antiquarische Auflagen von "Mein Kampf" verfügbar. Mit dem Unterschied, dass diese nicht kritisch kommentiert sind.
Noch heute eine Gefahr ?
Dass jetzt die Unterstützung des Landes Bayern für die Historiker gestrichen wird, die, nach eigenen Angaben, einen wichtigen Beitrag zur historisch-politischen Bildung und zur Entmystifizierung von "Mein Kampf" leisten wollen, stößt daher bei vielen auf Verwunderung. "Das ist geradezu ein skandalöser Vorgang", urteilt der Historiker und Hitler-Biograph Volker Ullrich gegenüber der DW. Er bewertet die Anstrengungen der Münchener Kollegen seit langem als wichtige "aufklärerische Leistung". Das Ergebnis werde endlich aufzeigen, aus welchen Quellen sich Hitler damals bedient hat und dass er vermutlich kaum eigenständige Ideen formuliert, sondern die Vielzahl völkischer Gedanken seiner Zeit lediglich zusammengefügt hat.
Die Debatte um die kritische Edition des Buches stellt indes auch die entscheidenden politischen Fragen zum Umgang mit "Mein Kampf": Sind die Deutschen fast sieben Jahrzehnte nach Krieg und Holocaust inzwischen staatsbürgerlich "reif" genug, sich von "Mein Kampf" nicht zu verführen zu lassen? Oder ist dieses häufig als konfus bezeichnete und zugleich fraglos volksverhetzende Buch eine Bedrohung? Für den Historiker Volker Ullrich ist die Antwort klar: "Dass von diesem Machwerk heute noch eine Gefahr ausgeht, ist eine absurde Vorstellung."