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Meinardus: "Dramatische Eskalation in Ägypten"

Nils Naumann15. August 2013

Die ägyptische Polizei hat die Protestlager der Muslimbrüder gewaltsam geräumt, die Regierung den Ausnahmezustand erklärt. Das sei der falsche Weg, sagt Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.

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Räumung des Mursi-Anhänger-Lagers in Kairo (Foto: AP Photo/Manu Brabo)
Bild: picture alliance / AP Photo

Deutsche Welle: Herr Meinardus, wie bewerten Sie die jüngste Entwicklung in Ägypten?

Ronald Meinardus: Die Lage ist dramatisch eskaliert. Es hat in den letzten Tagen und Wochen gewissermaßen einen Waffenstillstand gegeben. Dieser Waffenstillstand ist gebrochen worden. Die Räumung wurde in einer Art und Weise vollzogen, die man im besten aller Fälle als unverhältnismäßig bezeichnen kann.

Die Muslimbrüder sprechen von einem Massaker und haben Gegenaktionen angekündigt. Was wir im Moment beobachten, ist eine Ausweitung und eine Dezentralisierung der Protestaktionen. Das heißt, die Menschen, die aus diesen Camps vertrieben worden sind, gehen nicht nach Hause, sondern sammeln sich und ziehen zum Teil marodierend durch die Straßen. Dabei kommt es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Gegnern der Muslimbrüder.

Ist denn eine Annäherung zwischen dem Militär, der Übergangsregierung und den Muslimbrüdern überhaupt noch möglich?

Die Vorraussetzung dafür, dass es doch noch zu einem Einvernehmen kommt, wären politische Gespräche. Die setzten aber eine Bereitschaft auf beiden Seiten und ein gewisses Klima des Vertrauens voraus. Das ist im Moment überhaupt nicht der Fall. Das Land war schon vor dieser jüngsten Eskalation tief gespalten. Diese Polarisierung hat sich mit den heutigen Ereignissen noch vertieft. Es gibt - und das ist ein Teil der ägyptischen Tragödie - keine nennenswerten Kräfte des Ausgleichs. Man ist entweder auf der einen oder auf der anderen Seite. Es fehlt eine verbindende Instanz.

Dr Ronald Meinardus, Direktor des Büros der Friedrich Naumann Stiftung in Kairo
Meinardus kritisiert "unverhältnismäßiges Vorgehen"Bild: privat

Vergangene Woche hatten Politiker aus dem Ausland, unter anderem der deutsche Außenminister Westerwelle, zu vermitteln versucht. Aber ihre Bemühungen sind im Sande verlaufen, weil die ägyptische Regierung gesagt hat, wir werden diese Probleme auf unsere eigene Weise lösen. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob ein politischer Prozess auf absehbare Zeit beginnen kann.

Selbst Ägyptens wichtigster westlicher Verbündeter, die USA, haben gefordert, dass Demonstrationen zugelassen und der entmachtete Präsident Mursi freigelassen werden soll - bislang ohne Erfolg. Welchen Einfluss hat der Westen noch auf die ägyptische Führung?

Die Einwirkungsmöglichkeiten sind sehr gering. Die Menschen an der Macht sind durchaus eher westlich und säkular gesinnte Menschen. Militärchef Abdel Fattah al-Sisi hat in Amerika eine Militärakademie besucht. Doch es ist auffällig, dass sie sich nicht wirklich für irgendwelche Hinweise des Westens interessieren. In den ägyptischen Medien wird eine schon fast ausländerfeindliche Kampagne gefahren. Der Westen habe sich nicht einzumischen, es seien interne ägyptische Angelegenheiten. Manche Beobachter sprechen von einer nationalistischen Revolution.

Hunderte Mursi-Anhänger wurden in Kairo festgenommen (Foto: AFP PHOTO) (Photo credit should read STR/AFP/Getty Images)
Hunderte Mursi-Anhänger wurden in Kairo festgenommenBild: STR/AFP/Getty Images

Was könnte denn getan werden, um die Muslimbrüder doch einzubinden?

Die Muslimbrüder haben erneut viele Tote zu beklagen. Sie sehen sich jetzt in der Rolle der Märtyrer. Es wird sehr lange dauern, bis dieser Schmerz beseitigt ist. Die Blutflecke auf den Straßen von Kairo und anderen Städten können sehr schnell abgewaschen werden. Aber der psychologische Graben, der wird sehr schwierig zu überbrücken sein.

Die Muslimbrüder hatten im Vorfeld gesagt, als ein Minimum müssten ihre Führer freigelassen werden. Sie wollen natürlich, dass der entmachtete Präsident Mohammed Mursi ins Präsidialamt zurückkehrt. Die Gegenseite - die Übergangsregierung - sagt, das kommt nicht infrage.

Wie stark ist die Muslimbruderschaft noch und wie groß ist Rückhalt in der Bevölkerung?

Die Muslimbrüder können wir vergleichen mit einer leninistischen Partei. Sie ist im Untergrund gewachsen und groß geworden, wurde über Jahrzehnte verfolgt und kriminalisiert. Es gibt ein sehr dichtes Netz von Kadern. Sie ist gut organisiert und strukturiert und offenbar auch sehr gut finanziert.

Die Muslimbrüder sind eine der großen politischen Kräfte in Ägypten. Es gibt Schätzungen, dass sie bei politischen Wahlen um die 20 Prozent erreichen würden. Die große Mehrheit der Ägypter aber, das kann man mit einiger Sicherheit sagen, ist die Herrschaft der Muslimbrüder leid. Deswegen gab es ja auch riesige Anti-Mursi-Demonstrationen, die schließlich zum Eingreifen des Militärs führten.

Wir sind in einer sehr brisanten Situation. Ich kann nur so viel sagen: Man tut sich keinen Gefallen, wenn man die Muslimbrüder mit militärischen, mit sicherheitspolitischen Mitteln ausschalten will. Das ist keine Option. Das wird nicht gelingen.

Ronald Meinardus leitet das Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.