Zum ersten Mal auf der Berlinale
14. Februar 2019Ich am roten Teppich! Stars wie Casey Affleck, Andie MacDowell oder Juliette Binoche zum Greifen nah! Dass ich das einmal erleben darf, hätte ich im Traum nicht gedacht. Ich komme zwar aus den USA - dem Land von Hollywood, Glitzer und Glamour - aber aus Ohio. Nach Ohio verirren sich keine A-Promis, wenn ich von Dreharbeiten für "Fast and Furious" oder "Avengers" in Cleveland einmal absehe. Als ich nach Berlin zog, hätte ich nie gedacht, dass damit auch meine Chancen steigen, internationale Stars zu treffen.
Filmfest mit Aha-Effekt
Anfang Februar waren mein Freund und ich noch heftig enttäuscht, dass Christian Bales neuer Film "Vice" noch nicht in den deutschen Kinos läuft. In den USA war er schon im Dezember raus gekommen. Ich suchte Rat im Internet. Ein paar Klicks später die gute Nachricht: "Vice" wird auf der Berlinale gezeigt, noch vor dem deutschen Kinostart. Es ist kein Wettbewerbsbeitrag, er läuft außer Konkurrenz.
Trotzdem blieb die Frage: Wie komme ich an Tickets? Ich kenne Filmfestivals wie Sundance, Cannes und Venedig - alles Festivals mit hohem Star-Aufkommen und Top-Filmen. Aber leider nicht für das normale Publikum, für Leute wie mich. Ich suchte also im Berlinale-Programm, eigentlich ohne wirklich damit zu rechnen, diesen Oscar-nominierten Film noch vor der deutschen Kinopremiere zu sehen. Aber dann: Bingo! Er läuft an mehreren Terminen und - noch besser - es soll sogar Tickets geben. Die gehen nämlich immer erst zwei Tage vor einer Berlinale-Aufführung in den Verkauf. Da hat absolut jeder eine Chance! Ich auch?
Bereit für den roten Teppich
Die Berlinale dauert zehn Tage. Noch eine Woche Zeit bis "Vice". Ich beschließe, die Berlinale zu meinem persönlichen Kultur-Experiment zu machen und einzutauchen in den Festivalrausch. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Also überrede ich eine Kollegin, die für DW-News berichtet, mich Greenhorn unter ihre Fittiche zu nehmen. Ich begleite sie am Eröffnungstag zum roten Teppich vor dem Berlinale Palast am Potsdamer Platz. Zur Eröffnungsgala wird der ganze Ort mit Stars und Fans förmlich geflutet.
All denen, die einmal im Leben ein Filmfest in Europa besuchen und ohne große Tricks Karten ergattern wollen, denen empfehle ich: Geht zur Berlinale! Der Potsdamer Platz vibriert während es gesamten Festivals vor Energie. Schwarz gekleidete Assistenten bahnen sich den Weg durch die Menge, Fans strecken ihren Stars Hochglanz-Fotos entgegen: Ein Autogramm bitte!
Mit meiner Kollegin und vielen, vielen anderen stehe ich am roten Teppich, gespannt, welche Stars ich zu sehen bekomme. Ich finde es einfach sensationell, dass ich für diese Pole-Position noch nicht einmal einen Presseausweis brauche. Jeder darf hier stehen und seinen Star anhimmeln. Das nenne ich cool. Zwischen Presse und Fans wird kein Unterschied gemacht. Den Schauspieler Bill Nighy, der im Film "Kindness of Strangers" zu sehen ist, ganz aus der Nähe zu fotografieren - das kann jeder. Nighy macht mit seinem Handy übrigens das gleiche: Er fotografiert, und zwar die Fans. Wechselseitige Begeisterung!
Kalt, kälter, Berlinale
Es ist eine frostige Wahrheit: Berlin im Februar ist kalt. Nicht einmal die Erinnerung an die lauen Abende beim Venedig-Filmfestival wärmt mich auf. Wie soll das auch gehen, bei Durchschnittstemperaturen von 1 Grad Celsius? Dazu der eisige Ostwind. Aber ich bin gut vorbereitet: ein knielanger warmer Wollmantel, ein Schal und eine Wollmütze. Unter meinen Jeans trage ich noch Leggings – man kann nie wissen. Wie halten das die Stars nur aus in ihren hauchdünnen Fähnchen, wenn sie für die Fotografen posieren? Schon vom Zusehen wird mir gleich noch kälter. Das Warten und Frieren aber lohnt sich, ich ergattere ein Autogramm der deutschen Schauspielerin Heike Makatsch, bekannt zum Beispiel durch ihre Rollen in "Tatsächlich Liebe" oder "Die Bücherdiebin".
Zeit für eine kleine Aufwärmpause. Nur ein paar Schritte vom roten Teppich entfernt gibt es einen Street Food Market. Soll ich einen dieser saftigen Cheese-Burger nehmen oder doch lieber eine koreanische Reis-Bowl? Die Entscheidung wird mir abgenommen, denn mein amerikanisches Herz schlägt Salto, als ich einen Food Truck mit mexikanischen Tacos erspähe. Mein Tipp: Probiert so viele Food Trucks aus wie ihr nur könnt, hängt ein bisschen ab - vielleicht stehen Christian Bale oder Tilda Swinton hinter euch in der Schlange.
Mein persönliches Highlight
Noch elektrisiert von meinem ersten Tag auf der Berlinale, beschließe ich, gleich am nächsten Morgen zu einem der Ticket-Schalter zu gehen. Vielleicht habe ich Glück und es gibt noch Karten für denselben Tag. Nichts ist unmöglich. Als ich das Programmheft ein bisschen genauer studiere, erschlägt mich die Auswahl. 400 Filme, Wettbewerbsfilme, Retrospektiven, Filmreihen, Indie-Produktionen, die man wahrscheinlich nur auf Festivals zu sehen bekommt und viele internationale Produktionen. Darunter einige, die hier auf der Berlinale ihre Weltpremiere feiern. Zum Beispiel "Light of My Life", der neue Film des Oscarpreisträgers Casey Affleck, der Regie führte, das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle spielt. Die Premiere findet am gleichen Abend statt.
Ausverkauft! So ein Pech! Aber was für ein Privileg, wenn man eine Karte für die Pressevoraufführung bekommt. Ich Glückliche! Und so finde ich mich im Sony Center am Potsdamer Platz wieder und warte mit meinen Kollegen auf den Einlass. Über uns das spannt sich ein gigantisches Zeltdach. Das Sony Center, das 2000 eröffnet wurde, ist einer der wenigen Orte in Berlin, die mich an die Wolkenkratzer zuhause in Amerika erinnern. Gestaltet hat diesen Bau mit dem futuristischen Ambiente der deutsche Architekt Helmut Jahn. Das Dach aus Glas und Stahl, das bei Dunkelheit in wechselnden Farben erstrahlt, ist ein echter Hingucker.
Ich muss mich richtig von diesem Anblick losreißen, um meinen Film nicht zu verpassen. Die Vater-Tochter-Geschichte, mit Casey Affleck als Papa und Anna Pniowsky als Tochter, lässt mich zu meinen Tempo-Taschentüchern greifen. Eine berührende Geschichte!
Festival mit Gefühl
Was mich am meisten bei diesem Filmfest beeindruckt ist, dass man überall reinkommt, wenn man sich nur früh genug am Ticketschalter anstellt. Und selbst wenn das nicht klappt, kann man sich unter die Fans am roten Teppich mischen. Besonders das bleibt für mich ein unvergessliches Erlebnis.
Die Berlinale ist ein demokratisches Festival: Kino für alle. Das finde ich gut. Hier geht es wirklich darum, die Filme zum Publikum zu bringen. Sie richtet sich nicht wie die meisten anderen Festivals an ein handverlesenes, exklusives Premierenpublikum.
Wie war das noch? Früh anstehen hilft. Am Samstag Morgen bin ich eine der ersten, die im Kino International für "Vice"-Tickets anstehen. Oder besser sitzen. Denn ich sitze in einer langen Schlange auf dem gefliesten Fußboden im Foyer und warte. Eine zögerliche Frauenstimme dringt an mein Ohr. Die Dame fragt vorsichtig, für welchen Film wir anstehen und ob wir eventuell für sie noch ein paar Tickets für einen anderen Film kaufen könnten, das Bargeld habe sie dabei. Man muss wissen, bei der Berlinale gibt es pro Film und pro Person nur zwei Tickets. Mein Freund und ich erfahren, dass ihr Sohn in einem der Filme mitspielt und sie gern die ganze Familie einladen möchte, aber eben leider nur zwei Tickets kaufen darf. Da helfen wir doch gern!
Was ist das doch für ein sympathisches Festival, wo man als Fan seinen Stars begegnet, auf begeisterte Fans trifft und einer stolzen Mutter helfen kann, ihren Schauspielnachwuchs der ganzen Familie zu präsentieren. Ich denke noch über diese besondere Stimmung der Berlinale nach, als das Licht im Kino International langsam ausgeht und "Vice" beginnt. Ich bin drin! Und ich kann nur sagen: Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Berlinale!