"Wunderwuzzi" haben sie ihn genannt, den Jungspund Sebastian Kurz, der mit 31 Jahren österreichischer Kanzler wurde. Der den europäischen Konservativen zeigte, wie man Wahlen gewinnt, Politik hart am rechten Rand macht und dabei gerade noch gesellschaftsfähig bleibt. Populismus mit Wiener Schmäh und knapp innerhalb der Grenzen des Erlaubten schien sein Spezialrezept. Mit einer Prise regierungsamtlicher Ausländerhetze und einem Schlag Linkenhatz blieb er immer noch vorzeigbarer Musterknabe - gekrönt von geradezu magischem Erfolg bei den Wählern.
Jetzt sind tiefe Risse entstanden im Hochglanzprodukt Sebastian Kurz. Die Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung wirft ihm Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue vor.
Der Lack ist ab
In diesem unheiligen Dreiklang der politischen Schmutzereien verbirgt sich auch eine mögliche Straftat, die den Mythos Kurz ernsthaft in Frage stellen könnte: Noch als Minister soll der heutige Kanzler Umfragen manipuliert, darin sein Abschneiden geschönt und das ganze gegen Geld bei der geneigten Boulevardpresse untergebracht haben.
Wenn in den Jahren seines unaufhaltsamen Aufstiegs also Schlagzeilen erschienen, die Kurz als beliebtesten Kanzlerkandidaten aller Zeiten beschrieben, dann hatten seine Getreuen die Zahlen womöglich gefälscht. Und finanziert wurde das Ganze aus Steuermitteln, so der Vorwurf. Im Umgang mit Medien herrschte der Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. In Zeitungen wurden teure Anzeigen von Staatsunternehmen geschaltet und im Gegenzug wurde dem Kanzleramt genehme Jubel-Berichterstattung publiziert.
Jetzt zeigt sich, dass der strahlende Stern der österreichischen Politik bei seinem Aufstieg mit anrüchigen und verbotenen Mitteln hat nachhelfen lassen. Sebastian Kurz ließ sein Bild polieren, entwickelte ein ausgeklügeltes System der Staatspropaganda, unterminierte dabei die Pressefreiheit und gab für den Volkswillen aus, was seine PR-Abteilung den Österreichern unterschob.
Legt den Sumpf trocken - wenigstens ein bisschen
Wer in Österreich fordert, den Sumpf der Korruption trockenzulegen, macht sich im Grunde lächerlich. Die Freunderlwirtschaft hat lange Tradition im Lande und die Nachkriegsgeschichte der Republik ist geprägt von einer endlosen Kette an Skandalen. Es gab Affären um Banken, Casinos, Baugesellschaften oder der Rüstungsbeschaffung und immer ging es dabei um persönliche Bereicherung und zweifelhafte Geldgeschäfte im Wechselspiel zwischen Politik und Wirtschaft.
Die jüngste dieser Enthüllungen brachte vor zwei Jahren die schmierige Ibiza-Affäre ans Licht. Dabei wurde die rechtspopulistische FPÖ, umstrittener Koalitionspartner von Kanzler Kurz, als dermaßen mafiöse und moralisch haltlose Vereinigung entblößt, dass ihr die Wähler schließlich davon liefen.
Demontage von Gesetz und Anstand
Die Ebene um Wien ist kniehoch mit einer schmierigen Masse überzogen. Und die Gummistiefel quietschen bei jedem Versuch, sie aus dem Schlamm zu ziehen, spotten Beobachter über das österreichische Geflecht aus gegenseitiger Begünstigung. Dabei unterhöhlt die ständige Demontage von Gesetz und Anstand den Staat und den Glauben der Bürger an eine Politik, die mehr ist als ein Selbstbedienungsladen.
In diesem politischen Feuchtgebiet werden immer Tümpel übrigbleiben. Aber sollte die Opposition in Österreich nicht einen Versuch wagen, wenigsten einige Bereiche der systematischen Bestechlichkeit trocken zu legen? Sie fordert zum Beispiel ein neues Mediengesetz, mit dem die Unsitte der Korruption per Anzeigenschaltung beendet werden könnte. Nach diesem Beispiel ließe sich bei den Banken und bei der öffentlichen Auftragsvergabe auch einiges bewegen.
Zeit für Neues
Mit der Devise "Zeit für Neues" war Sebastian Kurz 2017 ins Amt gekommen. Dabei vertrat er nur die alte Korruption in neuem Gewand, wenn die Beweise der Staatsanwaltschaft sich jetzt als stichfest erweisen. Mit dem Schritt, die Konsequenzen zu ziehen und sein Amt zur Verfügung zu stellen, zeigt er zumindest etwas Anstand - nachdem er einen Rücktritt zunächst im Ton gekränkter Unschuld abgelehnt hatte. Die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe freilich weist er weiterhin zurück.
Österreich braucht eine Art Bewegung der "sauberen Hände", die den Stall in Wien wenigstens alle paar Jahre ausmistet. Zumindest scheint das Land noch mutige Staatsanwälte zu haben, die ohne Ansehen der Personen ermitteln. Sie können Grundlage für eine politische Erneuerung sein, auf die viele Bürger in Österreich seit langem warten. Und als nächsten Kanzler sollten sie sich vielleicht lieber einen seriösen Politiker aussuchen, einen Erwachsenen mit etwas weniger Charisma. Sebastian Kurz als politischer Magier ist gründlich entzaubert und zeigt sich als Kaiser, der - bei näherem Hinsehen - überhaupt keine Kleider anhat.