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Deutschlands schleichender Abschwung

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Henrik Böhme
6. August 2022

Deutschland kommt aus dem Krisenmodus gar nicht mehr heraus. Corona, Ukraine-Krieg, Gasknappheit - eine Krise löst die nächste ab. Das wirft auch die stärkste Volkswirtschaft aus der Bahn, meint Henrik Böhme.

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Eine ausgefranste deutsche Bundesflagge flattert im Wind
Bild: picture-alliance/dpa/R. Goldmann

Ein wirtschaftlicher Abschwung, der kommt ja nicht übers Wochenende. Das schleicht sich an, ganz langsam. Man kann die Vorboten erkennen, wenn man ein bisschen genauer auf die Zahlen schaut, die tagein, tagaus bekannt werden. Mal ist es die Industrieproduktion, mal der Auftragseingang, mal die Umsätze beim Einzelhandel. Letztere, so wurde dieser Tage vermeldet, sind im Juni (inflationsbereinigt) um knapp neun Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Das hat es, so beeilten sich die Bundes-Statistiker in Wiesbaden mitzuteilen, noch nie gegeben in den vergangenen 28 Jahren. Das klingt dramatisch - und das ist es auch.

Zum einen für den Einzelhandel selbst, der bereits in den vergangenen zwei Jahren massiv unter der Corona-Pandemie gelitten hat. Und zum anderen zeigt das: Die Leute halten ihr Geld zusammen - angesichts der vielen Unsicherheiten, die da täglich durch die Nachrichten wabern wie Ukraine-Krieg, Inflation und neuerdings die Angst vor einer Eskalation in der Taiwan-Frage. Nicht nur der russische Bär, der sich gerade in der Ukraine austobt, auch der chinesische Drache ist gerade furchtbar schlecht gelaunt. Nicht gut, das alles.

Inflation wird weiter zulegen

Und noch weiß ja keiner so genau, was wirklich auf ihn zukommt, wie sich das alles im täglichen Leben niederschlagen wird. Alles wird teurer - nie hat das so gestimmt wie derzeit. Und auch wenn die Inflation in Deutschland derzeit stagniert oder sogar ein ganz kleines bisschen zurückgeht: Das ist nur eine Momentaufnahme und ein verfälschtes Bild durch zwei befristete Maßnahmen. Einerseits das Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr und zweitens durch den sogenannten Tankrabatt. Beides hört zum Ende des Monats auf - und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis die Inflationsrate zweistellig ist.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Hinzu kommt: Die Wohnungsvermieter verschicken erst im kommenden Jahr die Abrechnungen für Strom und Heizung, die sich schon jetzt heftig verteuert haben. Und das Ende der Preisanstiege ist noch nicht erreicht. Es gibt ein paar grobe Schätzungen, um wieviel mehr die Menschen zur Kasse gebeten werden, um weiter eine warme Wohnung, warmes Wasser und genügend Strom zu haben. Das Dreifache, das Vierfache? Viel wird es sein, auf jeden Fall. Das macht die Menschen vorsichtig beim Geldausgeben, größere Anschaffungen werden aufgeschoben, und im Supermarkt - wo man zu Corona-Zeiten schon mal zu den teureren Dingen gegriffen hat - rücken jetzt wieder die preiswerten Produkte ins Blickfeld.

Die gefährliche Lohn-Preis-Spirale

Das alles ruft freilich auch die Gewerkschaften auf den Plan: Die fordern in den anstehenden Verhandlungsrunden mindestens einen Inflationsausgleich - und entsprechend üppig sind die Forderungen. Für die Hamburger Hafenarbeiter beispielsweise liegt ein Angebot von plus 12,5 Prozent auf dem Tisch - der Gewerkschaft Verdi ist das noch zu wenig. Bei der Lufthansa gab es soeben einen Abschluss für das Bodenpersonal mit Lohnsteigerungen von bis zu 19 (!) Prozent. Damit droht aber die Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale - ein prima Brandbeschleuniger für die Rezession, weil zu hohe Lohnabschlüsse wiederum Preiserhöhungen nach sich ziehen werden.

Streikplakate und Verdi-Fahnen am Eingang zu den Container-Terminals im Hamburger Hafen
Streik im Hamburger HafenBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Es braut sich da also etwas sehr düsteres zusammen. Im Mittelstand - dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft - ist die Stimmung mies. Ein entsprechender Indikator der staatlichen KfW-Bank ist dramatisch abgestürzt. Die Erwartungen seien, so die Bank, so schlecht "wie sonst nur vor großen Rezessionen". Andere malen angesichts der dramatisch hohen Energiepreise das Gespenst einer großen Entlassungswelle an die Wand. Fünf Millionen Jobs sieht beispielsweise der Chef der Industrie- und Handelskammer München in Gefahr. Ein tatsächlich denkbares Szenario. 

Wird Deutschland also, wie schon mal Ende der 1990er-Jahre, wieder zum "kranken Mann Europas"? Und was würde es für Europa bedeuten, wenn die Wirtschaftslokomotive Deutschland eine Vollbremsung hinlegen würde? Wohl nichts Gutes. Daher muss Europa solidarisch den Energie-Erpressungsversuchen des Kreml widerstehen. Denn gelingt es Putin, Europa zu spalten und dessen Volkswirtschaften entscheidend zu schwächen, hätte er eines seiner Ziele erreicht. Das muss Europa um jeden Preis verhindern. Mit europäischer Solidarität und schlauen Entscheidungen der jeweiligen Regierungen, die den Menschen wirklich helfen, über die Runden zu kommen. Tipps und Appelle zum Energiesparen werden da nicht ausreichen.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58