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Meinung: Debatte um Impfzwang ist Unsinn

29. Dezember 2020

Keine drei Tage sind seit der ersten Impfung vergangen, und schon wird diskutiert, ob Privilegien für Geimpfte ungerecht gegenüber anderen sind. Fabian Schmidt meint: "Haltet mal die Luft an!"

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Deutschland Impfbeginn Sachsen-Anhalt Pflegeheim
Bild: Matthias Bein/dpa/picture alliance

Gerade erst hat die Impfkampagne in Deutschland begonnen. Und schon entspinnt sich unter Politikern, Wirtschaftsexperten, Journalisten und anderen Vertretern der schwatzenden Klasse eine rege Diskussion um eine angeblich heraufziehende Zwei-Klassen-Gesellschaft: Ist es gerechtfertigt und gerecht, geimpften Menschen Dinge zu erlauben, die wir Nicht-Geimpften vorenthalten müssen? Und noch schlimmer: Droht uns vielleicht eine Zwangsimpfung durch die Hintertür, weil Nicht-Geimpfte vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden?

Erstmal tief durchatmen!

Die ganze Debatte können wir uns zumindest bis zum Sommer 2021 noch aufsparen, wenn wir uns die jetzige Wirklichkeit mal vor Augen führen: Die erste Frau, die in Deutschland geimpft wurde, ist 101 Jahre alt. Sie steht stellvertretend dafür, welche Prioritäten bei der Impfstrategie gelten. 

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Es geht beim Impfen um die Verletzlichsten unter uns und nicht ums Feiern und Reisen, meint Fabian Schmidt

Es geht vor allem darum, diejenigen zu schützen, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind: Hochbetagte und Menschen mit Vorerkrankungen.

Dazu hat die Bundesregierung festgelegt, dass zuerst Menschen über 80 Jahren drankommen, nebst Ärzten und Pflegern mit hohem Ansteckungsrisiko. Dann kommen Über-70-Jährige und andere Hoch-Risikogruppen. Als drittes sind Über-60-Jährige an der Reihe, Polizisten und andere Berufsgruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko.

Selbst wenn alles läuft wie geplant, kommt die Großzahl der jüngeren Menschen vor Sommer 2021 ohnehin nicht an eine Impfung heran.

Schwenken 90-Jährige in der Südkurve ihre Fahnen?

Nun schon zu diskutieren, ob die Geimpften irgendwelche Sonderrechte genießen dürfen, ob das möglicherweise ungerecht gegenüber den anderen ist oder gar subtiler Druck auf Impfskeptiker ausgeübt wird, ist völlig weltfremd.

Es wird wohl nicht viele Menschen über 70 geben, die ein starkes Bedürfnis verspüren, sich auf dem Wacken-Heavy-Metal-Festival im Schlamm zu wälzen, beim "Rock am Ring" zu campen, in den Bundesliga-Stadien die Südkurve zu füllen oder Après-Ski zu feiern. 

Auch die Zahl der demnächst geimpften Senioren und Kranken, die jetzt schon wieder Fernreisen mit dem Flieger planen, dürfte kaum ausreichen, um eine Airline davon zu überzeugen, wieder zum Normalbetrieb überzugehen. Um profitabel zu arbeiten, müssten sie also auch Nicht-Geimpfte mitnehmen.

Dafür bietet nur ein zeitnaher negativer Corona-Test eine handhabbare Lösung. Ersatzweise könnten Veranstalter und Fluglinien zwar dann auch einen Impfnachweis gelten lassen; der kann und wird aber nicht alleinige Voraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sein können.

Veranstalter und Airlines können auf Kunden nicht verzichten

Auch die australische Fluglinie Quantas wird ihre Ankündigung, nur Geimpfte fliegen zu lassen, wirtschaftlich nicht lange durchhalten können. Dafür gibt es einfach auf absehbare Zeit zu wenig Impfstoff. Und es liegt ja auch nicht im Interesse von Unternehmen, Kunden auszuschließen - gerade, wenn diese in Corona-Zeiten ohnehin eher zurückhaltend sind.

Und die Restaurants? Die können es sich schon gar nicht leisten, Kunden abzuweisen, die keine Impfbescheinigung haben. Auch auf einem aktuellen Corona-Test werden sie nicht bestehen, weil er mehr kostet als Schnitzel und Bier zusammen. Sie können nur darauf hoffen, dass sie irgendwann, wenn die Infektionszahlen wieder runter gehen, unter den erprobten Hygienebedingungen dort weitermachen dürfen, wo sie vor dem Lockdown aufgehört haben.

Anstatt uns jetzt verrückt zu machen, zu hyperventilieren und irrsinnige Hypothesen durchzuspielen, sollten wir alle lieber mal tief ein- und ausatmen. Den langen Atem werden wir ohnehin brauchen. So schnell kommt die ersehnte Normalität nämlich nicht zurück. 

Und was ab Herbst des nächsten Jahres sein wird - das müssen wir erst noch erleben. Und damit wir es erleben, bleibt es dabei: Hände waschen! Abstand halten! Maske tragen!

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen