Das Ergebnis ist überraschend deutlich: Fast 60 Prozent der Franzosen haben sich für die Wiederwahl Emmanuel Macrons entschieden, vor allem aber haben sie die rechtsradikale Konkurrentin Marine Le Pen mit nur etwas mehr als 40 Prozent in die Schranken gewiesen. Doch sie wird bleiben und mit ihr die Forderungen, Frankreich aus der NATO zu führen und die Europäische Union zu schleifen.
Im Juni wird das französische Parlament gewählt. Und mit einem Drittel der Stimmen für die extreme Rechte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen und mit gut 20 Prozent der Stimmen für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon ist klar: Die Franzosen wollen, dass sich etwas gehörig ändert. Paris, die Hauptstadt und mit ihr die politische Klasse dort sind schon sehr lange unbeliebt im Land. Aber jetzt manifestiert sich dieses Gefühl der "die da oben, wir da unten" in der Kritik an der Demokratie als solche. Und das ist mehr als ein Warnsignal.
Die EU als Schutzgemeinschaft
Die von Macron zunächst als Sammlungsbewegung der Mitte gegründete Partei "La République en Marche" hat in den vergangenen fünf Jahren das Demokratiedefizit verschärft, das auch durch das Verdrängen der klassischen politischen Lager der linken Sozialisten auf der einen und der Konservativen auf der anderen verstärkt worden ist. Das werden Macron und die Seinen ändern müssen, wenn Frankreich nicht in den Nationalismus der Extreme abrutschen soll.
Und das hat viel mit Europa als Ganzem zu tun und vor allem mit dem wichtigsten Partner: Deutschland. Die Europäische Union wird in Frankreich oft als ein Club für die großen Konzerne empfunden und nicht als Schutzgemeinschaft nach außen wie nach innen. Seit zwei Monaten zeigt der Angriff Russlands auf die Ukraine, dass viele mit dieser Einschätzung Recht haben. Denn der Krieg der Russen ist auch ein Angriff auf das freie und demokratische Europa. Macron ist vor fünf Jahren mit einer klaren europapolitischen Agenda gewählt worden - ausgearbeitet von dem jungen Clément Beaune, mittlerweile Staatssekretär für Europa-Fragen im französischen Außenministerium. Der 40-jährige hat dem nur vier Jahre älteren Macron aufgeschrieben was zu tun ist: die EU viel tiefer zu integrieren und sie demokratischer machen.
Doch bis heute gibt es in Brüssel noch nicht einmal die Mehrheitsentscheidung bei außenpolitischen Fragen der EU. Es ist absurd: Der Putin-Freund und illiberale ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán kann wichtige Entscheidungen mit einem Veto blockieren - während Russland die Demokratie in Europa jetzt auch mit Waffen angreift, müssen die Steuerzahler in Frankreich und Deutschland den größten Gegner der EU im Inneren weiter alimentieren. Das ist absurd. Das sehen auch viele Franzosen so.
Jetzt liegt der Ball in Berlin
Das Wahlergebnis in Frankreich ist deshalb vor allem auch eine zweite Chance für Europa. Und vor allem: für Deutschland. Macron wirbt seit mehr als fünf Jahren darum, die Europäische Union als Machtblock in der Welt zwischen den USA und China zu stabilisieren, mit einem starken deutsch-französischen Element. Dem wollte die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel leider nicht folgen. Merkels europapolitisches Erbe ist von einer katastrophalen Integrationsbilanz geprägt, verglichen mit Kanzlern wie Helmut Kohl oder auch Helmut Schmidt. Sie hat Macrons Anliegen zur tieferen Verschränkung der beiden Länder mit einer halbherzigen Erneuerung des Elysée-Vertrages abgewimmelt, dem deutsch-französischen Vertrag von Aachen.
Die heutige Regierung aus SPD, Grünen und FDP in Berlin hat jetzt die Möglichkeit diesen Fehler zu korrigieren. Klug haben vor allem die Unterhändler von Bündnis90/Die Grünen die Stärkung der EU in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Nicht wie früher die SPD mit einem salbungsvollen Europa-freundlichen Kapitel, sondern mit konkreten Vorschlägen in vielen unterschiedlichen Politikbereichen soll Europa einen großen Schritt weiter gehen in Richtung der Vereinigten Staaten von Europa. Darum geht es jetzt. Seit Sonntagabend liegt der Ball in Berlin.