Für die Fans aus Wales und der Schweiz könnte die EURO 2020 etwas stressig werden. Zunächst einmal müssen nämlich beide Fanlager die Reise nach Baku antreten, wo ihre Teams im ersten Gruppenspiel aufeinandertreffen. Während die Waliser zum zweiten Gruppenspiel in Aserbaidschan bleiben dürfen, geht es für die Schweizer direkt weiter nach Rom - und von dort anschließend wieder mehr als 3000 Flugkilometer zurück nach Baku.
In der Luft können die Eidgenossen aber den Walisern zuwinken, die in der Gegenrichtung von Baku nach Rom unterwegs sind, um dort ihr drittes Spiel zu absolvieren. Wer Gruppendritter wird, spielt im Achtelfinale wieder in Baku - möglicherweise aber auch woanders - der Gruppenzweite dagegen in jedem Fall in Amsterdam und erst danach, im Viertelfinale, wieder in Baku. Ab dem Halbfinale ist dann nur noch London angesagt - zum Glück!
Das Virus freut sich
Nachhaltig und umweltfreundlich ist der Spielplan der EURO im Hinblick auf die anfallenden Flugmeilen nicht - und in Zeiten der Corona-Pandemie, während Europas Gesundheitsminister immer noch dazu auffordern, lieber in der Heimat Urlaub zu machen als in die Ferne zu reisen, gleich doppelt fragwürdig. Zur Freude des Virus' sind von der Vielfliegerei bei der anstehenden EM auch nicht nur Waliser und Schweizer betroffen: Beispielsweise pendeln Nordmazedonier und Österreicher in Gruppe C zwischen Amsterdam und Bukarest hin und her, Polen und Slowaken in Gruppe E zwischen Sevilla und St. Petersburg. Alle anderen müssen bereits in der Vorrunde ebenfalls mindestens einmal reisen, ausgenommen sind nur die sechs "Gruppenköpfe" Italien, Dänemark, Niederlande, Spanien, England und Deutschland.
Welcher Fan macht das mit? Wer kann es sich überhaupt leisten, so viele Flugreisen aneinander zu reihen? Und lassen es die Corona-Bestimmungen im Einzelnen überhaupt zu, dass man pünktlich zum nächsten Spiel, das in einer anderen Zeitzone stattfindet, wieder aus der Quarantäne raus ist?
Faninteressen nachrangig
Natürlich kann man nun einwenden: Bei großen Turnieren musste schon immer viel gereist werden, und das macht ja auch den Reiz aus. Stimmt, allerdings war es bislang so, dass die EM in einem, maximal zwei Gastgeberländern stattfand und die Wege deutlich kürzer waren. Auch waren die Spielorte echte Begegnungsstätten für Fans vieler Nationen und nicht Standort für lediglich ein Team, zu dem die Anhängerschaft des nächsten Gegners nur kurz hin- aber auch gleich wieder wegpendelt.
Die Interessen der Fans spielen eben nicht die größte Rolle, was man auch daran sieht, dass viele Anhänger wegen der corona-bedingt reduzierten Stadionkapazität ihre Tickets wieder abgeben mussten, während die UEFA weiter für teure Hospitality-Plätze wirbt und Promotion-Tickets an Sponsoren verteilt. Der "echte Fan" kann doch auch zu Hause bleiben. Dort ist es eh sicherer und vor dem Fernseher bekommt man auch viel mehr mit - zum Beispiel die Werbespots vor und während der Übertragungen.
Zu Lasten des sportlichen Werts
Verantwortlich dafür, dass die anstehende EURO in verschiedenen Ländern ausgespielt wird, ist übrigens der ehemalige UEFA-Präsident Michel Platini. Offizieller Anlass für die Ausdehnung auf den gesamten Kontinent: der 60. Geburtstag der EM. Allerdings war es auch so, dass der Verband Schwierigkeiten hatte, für 2020 überhaupt einen einzelnen Bewerber zu finden. Keiner traute sich zu, die EM zu veranstalten, nachdem sie vor dem Turnier von 2016 - ebenfalls auf Betreiben Platinis - von 16 auf 24 Teilnehmer aufgepustet wurde, weil er den kleineren Verbänden vor seiner Wiederwahl als Präsident ein Zugeständnis machen wollte.
Ich will kein Spielverderber sein: Natürlich ist es toll, dass mit Nordmazedonien, Finnland, Wales und Nordirland auch mal Mannschaften bei der Endrunde dabei sind, die es ins 16er-Feld vielleicht nicht geschafft hätten. Allerdings ist der Modus nach der Aufstockung alles andere als spannend und die Vorrunde, in der nur acht von 24 Teams ausscheiden, sportlich fast wertlos.
Tröstlich ist, dass die paneuropäische EM ein einmaliges Experiment bleiben soll. 2024 ist dann Deutschland Gastgeber. Da kann man auch von München im tiefen Süden nach Hamburg im hohen Norden den Zug nehmen und ist nach etwa sechseinhalb Stunden da. Eine Zugfahrt von Baku nach Rom dauert deutlich länger.