Europa kann Corona nur gemeinsam besiegen
Manche Äußerungen von manchen Politikern sind so blöd, dass sie einem glatt die Sprache verschlagen. Da erklärte der britische Gesundheitsminister dreist, wegen des Brexit habe die britische Behörde den BioNTech-Pfizer Impfstoff früher als die "langsame" EU genehmigen können. Sein Fraktionskollege Rees-Mogg legte noch eins drauf und behauptete, gerade hätte die Regierung in London die Regeln geändert, so dass der Impfstoff keine langsame EU-Zulassung brauche. Es ist immer lustig, wenn Leute keine Ahnung von den Tatsachen haben oder sie gleich fröhlich selbst erfinden. Meist nennt man sowas Fake News.
Der deutsche Gesundheitsminister reagierte staatsmännisch auf den Unsinn und erklärte, dass genau diese EU-Regeln eine Ausnahmegenehmigung für Notfälle enthalten, die jedes europäische Land selbst erteilen kann. Auch Deutschland hätte diesen Weg gehen können, sagte Jens Spahn, habe sich aber entschieden, den gemeinsamen Weg der europäischen Zulassung zu gehen.
Diplomatische Störungen
Aber die britische Regierung scheint darauf versessen, sich irgendwie mit dem Erfolg des Corona-Impfstoffs zu brüsten. Noch mal für Ahnungslose: Der Impfstoff wurde mit einem bahnbrechend neuen Verfahren in einem deutschen Unternehmen von Forschern mit türkischen Wurzeln entwickelt. Die Forschung wurde mit Geld aus vielen Quellen, auch von der EU, unterstützt. Briten spielten da nirgends eine Rolle.
Die ganze Geschichte scheint eigentlich kindisch, und vielleicht sollte man sich auf dieser Ebene gar nicht damit auseinandersetzen. Aber sie traf einen Nerv. Ein altgedienter Europa-Abgeordneter stellte die gerechtfertigte Frage, ob so die künftige Zusammenarbeit mit Großbritannien aussehen solle.
Und sogar der deutsche Botschafter in London formulierte höchst diplomatisch seine Meinung zu dieser Art von Politik: Warum sei es so schwer, diesen wichtigen Schritt nach vorn als einen großen internationalen Erfolg anzuerkennen, schrieb Andreas Michaelis. Er glaube nicht, dass der Impfstoff eine nationale Geschichte sei. Gut gebrüllt, Herr Botschafter.
Brexit verdirbt den Charakter
Wir kennen leider die Antwort auf die Frage, warum die Briten sich so aufführen. Ausgerechnet sie, die sich früher so viel auf ihre Tradition des Fair Play zu Gute hielten. Die Diagnose ist, dass der Brexit den Charakter verdirbt. Seine Vertreter hatten schon beim Referendum vor vier Jahren angefangen, den Bürgern die Unwahrheit zu erzählen. Und sie müssen damit jetzt immer weiter machen. Aus dem Abschied von der EU scheint ein unseliger Zwang gewachsen, sich mit fremden Federn zu schmücken, sich ständig auf die Brust zu trommeln und Großbritannien als das "global führende Land" zu verkaufen. Egal zu welchem Thema.
Tatsächlich ist diese Propaganda häufig peinlich, im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aber wirklich daneben. Denn, liebe britische Freunde, an diesem Virus erkranken wir alle gleichermaßen - diesseits und jenseits des Ärmelkanals. Wir leiden und sterben daran, ob wir nun Mitglieder der EU sind oder nicht. Unsere Ärzte kämpfen alle den gleichen Kampf, unsere Krankenschwestern sind gleichermaßen erschöpft. Der aus dem Brexit erwachsene Steinzeit-Nationalismus hat mit alledem nichts zu tun.
Ein Fall zum Fremdschämen
So viel haben wir doch alle inzwischen verstanden: Nur gemeinsam kommen wir aus dieser schrecklichen Lage. Nur wenn wir uns gegenseitig unter die Arme greifen, Ressourcen teilen und gemeinsam kämpfen. Auch die EU hat ein bisschen Zeit gebraucht, um das zu verstehen. Inzwischen aber weiß doch eine große Koalition der Vernünftigen in Europa, dass wir nur zusammen die Pandemie überstehen und nur gemeinsam die wirtschaftliche Zukunft danach bewältigen können. Und ob ein paar Tausend Briten da drei Wochen früher geimpft werden, als Niederländer und Franzosen nebenan, das kann doch wirklich keine Rolle spielen, sondern ist eher ein Fall zum Fremdschämen.