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Politik

Fruchtbarer Dialog der Religionen

10. Oktober 2021

Zwei Ereignisse der vergangenen Woche zeigen, wie eng Religionen längst miteinander im Austausch sind. Und sie werfen Fragen auf, um die sich sonst niemand kümmert, meint Christoph Strack.

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Vertreter unterschiedliche Religionen zum Teil in ihrer besonderen Kleidungen beim Empfang der Tagung "Religions for Peace"
Sichtbare Vielfalt bei "Religions for Peace" in Lindau am BodenseeBild: Christian Thiel/imago images

"Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen." Wenige Sätze des im April 2021 verstorbenen Theologen Hans Küng haben einen vergleichbar starken Klang. Und immer mehr zeigt sich, wie recht Küng mit dem vor Jahrzehnten gesprochenen Satz Recht hatte: Da ging es nicht um religionspolitische Sozialromantik, sondern um eine Verpflichtung.

Eine Verpflichtung an viele Seiten, denn die Welt ist in Unruhe: die Dominanz autoritärer Systeme oder populistischer Führungsgestalten, das Ende der etablierten Multilateralismen, die globale Gefährdung durch den Klimawandel und die daraus erwachsenden Fluchtbewegungen, zuletzt auch durch die Corona-Pandemie.

Der Papst pusht das Thema Klimawandel

Wie kein Papst vor ihm greift Papst Franziskus diese Themen auf. Und schaffte es in den vergangenen Tagen auf die internationale Nachrichten-Agenda. Am vergangenen Montag holte er 40 führende Religionsvertreter in den Vatikan. Sie appellierten an die Anfang November in Glasgow anstehende Weltklimakonferenz, auf die "beispiellose ökologische Krise" zu reagieren und "den künftigen Generationen vernünftige Antworten zu geben". Schon 2015 pushte Franziskus die Klimaschutz-Bewegungen vor dem wichtigen Pariser Klimagipfel, nun mahnen die Religionen gemeinsam.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Religionsexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Drei Tage später ähnlich kräftige Worte beim Friedenstreffen von Sant'Egidio in Rom. Die Organisation hat für Franziskus in der Hilfe für Flüchtlinge höchsten Stellenwert. Mittlerweile holte sie Tausende Heimatlose aus Syrien und dem Irak, zumeist Familien, nach Italien und in andere europäische Länder und sorgt für ihre Beheimatung.

Auch beim Sant'Egidio-Treffen wirkt es so: Rom ruft - und die Religionen folgen. Und ganz nebenbei bekommt die Kirche mit ihrem international schwärenden Missbrauchsskandal auch mal wieder positive Bilder, andere Aussagen.

Die Religionen sind längst miteinander im Gespräch

Im Schatten der schönen Bilder und der Reden, die in Rom vorgetragen wurden, tagte im süddeutschen Lindau in dieser Woche eine Konferenz von "Religions for Peace". Diese 1970 gegründete Organisation gilt als weltweit größter interreligiöser Zusammenschluss und ist in mehr als 60 Länder vernetzt. Religionsvertreterinnen und -vertreter in der Beschaulichkeit einer Bodensee-Kleinstadt und doch mit großem Anspruch.

Denn "Religions for Peace" zeigt, dass Religionen längst miteinander im Gespräch sind. Der afrikanische Kardinal, der Mufti oder Imam aus dem Libanon oder dem Irak, der populäre Rabbiner, die prominente Vertreterin eines indischen Ashrams, der indigene Häuptling aus Kanada, der Generalsekretär der weltweiten Evangelischen Allianz - sie alle waren vor Ort; andere, auch prominente, waren in Dutzenden von Ländern virtuell dabei. "Religions for Peace", angeführt von einer seit langem in den USA lebenden ägyptischen Muslima, schaut nicht auf die einzelne Religion, sondern auf das verbindend Religiöse und die gemeinsame Verpflichtung.

Unter dem Radar deutscher Medien

Die vier Tage von Lindau liefen weithin unter dem Radar deutscher Medien. Aber vielleicht ist genau das so gewollt. Denn Lindau ist stets auch eine vertrauensbildende Maßnahme. So ging es um den selbstkritischen Blick darauf, wie Religionen mit dem Thema Afghanistan umgehen und welche Verantwortung sie da hatten, um Hassrede und religiös motivierte Gewalt, den Kampf gegen die Corona-Pandemie oder den Klimawandel.

In kleineren Runden saßen Vertreter diverser Außenministerien, darunter auch der USA und Frankreichs, manche Botschafter, einige UN-Vertreter beisammen und diskutierten mit Religionsvertreterinnen und -vertretern. Fast während der gesamten Tagung verweilten zwei Unter-Generalsekretärinnen der Vereinten Nationen, die direkt dem Generalsekretär zugeordnet sind, in Lindau. Das sind Leute, die ansonsten ständig auf Achse sind und durch Berlin mit diplomatischem Protokoll und Polizeischutz unterwegs wären.

Lindau geht einen Schritt weiter als Rom

Die Religionen fragen die Politik auch gemeinsam an. Wer sagt im Feld der Politik beim Kampf gegen Corona schon "Wir sind erst sicher, wenn alle sicher sind"? Erst wenn alle weltweit sicher sind und nicht auf die nächste Mutation starren.

Welcher Politiker erinnert daran, dass die Weltbevölkerung weit stärker von Religion geprägt ist als das inzwischen sehr säkulare Deutschland? Wer spricht für die, deren Inseln als erste untergehen im Klimawandel?

Lindau geht, wie schon 2019 und 2020, einen Schritt weiter als Rom. Rom hat die prominenteren Bilder, bleibt aber dominiert von der einen einladenden Religion, dem Vatikan oder Sant'Egidio. Lindau zeigt, dass für die Annäherung der Religionen nur das Gespräch der Religionen hilft - ehrlich, kritisch, vertrauensvoll.

Gemeinsames Engagement in vielen Ländern

Ein Beispiel zeigt, wie "Religions for Peace" auch konkret wirkt. Gleich nach Beginn der Corona-Pandemie bot die Organisation finanzielle Mittel für konkrete Projektarbeit an. Einzige Bedingung: Es müssen mehrere Religionen sichtbar gemeinsam engagiert sein. Aus mehr als 20 Ländern kamen Anfragen.

Aber wo in Deutschland oder Mitteleuropa engagieren sich christliche, muslimische, jüdische Gläubige gemeinsam?