Hassrede im Internet - vor allem Frauen sind die Opfer
"Ich bin eine tapfere Frau, ich kann alles schaffen." - das ist mein Mantra. Trotzdem bin ich zögerlich, wenn es um die Nutzung des Internets geht. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich online schon heftig angegriffen wurde - sei es wegen meiner Arbeit, meiner Positionen und Haltungen, wegen meines Aussehens oder auch einfach nur, weil ich eben da war.
Männer haben mir zahllose hasserfüllte Nachrichten und Kommentare geschickt (vielfach mit heftigsten sexuellen Inhalten), um mich einzuschüchtern - einschließlich Drohungen, mir aufzulauern, mich zu verprügeln oder zu vergewaltigen. Ich habe das zig mal gemeldet und es online offen thematisiert. Aber dafür wurde ich nur verspottet und letztlich zum Schweigen gebracht.
Rückzug zum Selbstschutz
Also habe ich meine Präsenz im Netz reduziert - um mich selbst zu schützen und auch meine Zeit, Energie und Nerven, im Kampf gegen diese Leute zu schonen. Doch im Ergebnis ist es genau das, was sie erreichen wollen: mir Angst vor dem Netz zu machen und mich zum Rückzug zu drängen. Als ich mit anderen Frauen darüber sprach, wurde mir klar, dass ich nicht allein bin: Fast alle Frauen, die ich kenne, sind von Cybergewalt in verschiedenen Formen betroffen. Und selbst wenn der Hass aufhört, wirken seine Folgen emotional noch lange nach.
Annalena Baerbock, Deutschlands erste Außenministerin, wurde Zielscheibe sexistischer Hassreden, als sie im vergangenen Jahr als Kanzlerkandidatin antrat und nun ihre ersten Auftritte als Ministerin absolvierte. Selbst eine starke Frau, wie die langjährige Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde immer wieder Opfer von Hass im Internet. Und die neue Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, wird im Netz regelmäßig allein wegen ihres Aussehens beschimpft.
Es gibt unzählige Beispiele aus ganz Europa, von Journalistinnen bis hin zu Künstlerinnen und anderen Frauen, die online aktiv sind und solche Angriffe kennen. Und es handelt sich auch nicht allein um ein "Erste-Welt-Problem", sondern um ein globales Phänomen, das alarmierend ist: Diejenigen, die solche Taten begehen, zielen auf die Existenz von Frauen im öffentlichen Raum. Sie wollen Frauen komplett aus dem täglichen Diskurs verdrängen - einem Diskurs, der ohnehin bis heute mehrheitlich von Männern geführt wird.
Angriffe im Schutz der Anonymität
Deutschland hat einige der strengsten Datenschutzgesetze der Welt - und die erlauben es Trollen vielfach, völlig gefahrlos zu agieren. Denn die Online-Angreifer bleiben anonym, können sich damit der Verantwortung entziehen und vor rechtlichen Konsequenzen ihrer Übergriffe sicher fühlen.
Dies wurde noch verstärkt, als das oberste deutsche Gericht ein Gesetz zur Bekämpfung von Hassrede aufhob, das es den großen Social-Media-Plattformen erlaubte, Nutzerdaten an die Polizei weiterzugeben, wenn der Verdacht eines Verbrechens vorlag.
Dieser Rückschlag darf nun keine Spirale in Gang setzen. Online-Plattformen müssen vielmehr ihre Technologie nutzen und Werkzeuge entwickeln, die Hassrede zuverlässig erkennen. Gesetzgeber und Strafverfolgungsbehörden müssen strafrechtliche Sanktionen verhängen und auch durchsetzen, um von solchem Verhalten abzuschrecken.
Hass ist keine Meinung
Hassreden darf nicht vom Deckmantel der Redefreiheit geschützt werden. Denn Hassreden ist eine Waffe, mit der die Schwächsten der Gesellschaft angegriffen werden. Und wer sie toleriert, stärkt sie diejenigen, die andere verletzen wollen und unhinterfragt weitermachen. Deswegen müssen wir uns als Gesellschaft gegen Hassrede wehren: Frauen und Männer, Strafverfolgungsbehörden und die Plattformen der Sozialen Medien.
Ich bin eine starke Frau. Aber ich kann nicht - wie auch keine andere Frau - alles allein machen. Das sollte übrigens keine Frau tun müssen.
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert von Felix Steiner