Nun hat er also doch ein Einsehen, der Bundestrainer. Jochim Löw gibt, so teilte der Deutsche Fußballbund in einer Pressemeldung mit, sein Amt nach der Europameisterschaft in diesem Sommer auf. Vorzeitig, denn sein aktueller Vertrag gilt eigentlich noch bis nach der WM im Winter 2022.
Er habe, so heißt es, den DFB selbst darum gebeten. Und Verbandspräsident Fritz Keller hat "großen Respekt vor der Entscheidung". Dass er sie so früh bekanntgegeben hat, gebe dem DFB die Zeit, mit "Ruhe und Augenmaß" seinen Nachfolger zu benennen.
So weit, so gut. Dass sich Löws Ära dem Ende zu neigt, zeichnete sich seit Monaten, wenn nicht seit Jahren ab. Nach dem Sommermärchen 2006 von der Co-Trainer-Rolle ins Rampenlicht getreten, feierte er mit dem WM-Titel 2014 in Brasilien den größten Triumph. Topstars aus seiner Mannschaft, Philipp Lahm und Miroslav Klose, nahmen das zum Anlass, um auf dem Höhepunkt ihrer Karriere aus der Nationalmannschaft zurückzutreten. Joachim Löw blieb.
Zeitpunkt verpasst
Sicher, er hatte vieles richtig gemacht damals. In Kombination mit einem herausragenden Kader und dem nötigen Glück stellte sich der erträumte Erfolg ein. Sein Anteil daran? Schwer zu beschreiben. Es müssen immer viele Komponenten zusammenkommen, damit ein maximaler Ertrag herauskommt im Mannschaftssport. Manpower, Taktik, Training, Psychologie - vor allem Psychologie. Was übrigens auch für Niederlagen, für Misserfolge gilt. Da sind Dynamiken im Spiel, die wohl auch abolute Insider bestenfalls nachvollziehen, beschreiben können, nicht aber vorhersagen. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Konstellation funktioniert, muss nicht im Jahr darauf nochmal klappen.
Das dürfte auch Joachim Löw geahnt haben. Er hatte zwei Alternativen: selbst zu gehen oder große Teile der Mannschaft auszutauschen. Er blieb. Allein: Der große Druck von außen, die inneren Abhängigkeiten, die gemeinsamen Erlebnisse machten Umstellungen nach der WM 2014 schwer, allem zur Schau gestellten Selbstbewusstsein zum Trotz. Deshalb hat er dann, viel zu spät, erst nach der völlig verkorksten WM 2018 in Russland den Umbruch propagiert und auch vollzogen. Er tat dies nur äußerst ungeschickt. Mit einer völlig unnötigen Absolutheit wurden die Publikumslieblinge Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng aussortiert. Der Vorgang ist hinlänglich diskutiert worden.
Die diffuse Macht der Aussortierten
Die Ironie dabei ist, dass sich sein Team zusehends verschlechterte, den Tiefpunkt beim 0:6 im Herbst gegen Spanien erlebte. Dass sich die Hoffnungsträger nicht so entwickelten wie gewünscht, während die drei geschassten Altmeister inzwischen wieder zu weltmeisterlicher Form aufliefen. Die Rufe nach ihrer Rückkehr in die Nationalmannschaft wurden immer lauter, Löw blieb vorerst stur.
Erst in den vergangenen Wochen kamen erste Zugeständnisse - halbgar: Er würde, wenn es die Situation erfordere, im Mai, also wenige Wochen vor der EM, entscheiden, ob es doch ein Comeback für einen oder mehrere der drei gebe. Es klang wie eine Kapitulation.
Nun hat Joachim Löw tatsächlich aufgegeben. Er ist geschwächt. Der Rückhalt im DFB ist geschwunden, beim Publikum sowieso. Die Fachwelt schüttelt oft nur noch verwundert den Kopf ob seiner Personal- und taktischen Entscheidungen. Das alles hätte Löw verhindern können, wäre er nur früher gegangen.
Mit seiner Sturheit hat er jedoch dem deutschen Fußball einen Bärendienst erwiesen. Nun, so kurz vor einem großen Turnier seinen Rücktritt bekanntzugeben, macht ihn zur "lame duck", zur lahmen Ente. Da mag er noch so sehr beteuern, dass er, was auch die Mannschaft betreffe, für die EM immer noch "großen Willen, Energie und Ehrgeiz" verspüre. Wer kann sich denn noch vorstellen, dass die jungen Spieler weiter an den von ihm versprochenen Umbruch glauben? Und wer, dass ihn die alten und vor allem die möglichen Rückkehrer als Autorität akzeptieren?
Wahrscheinlich hilft jetzt nur, auf eine baldige Entlassung von Jürgen Klopp beim FC Liverpool zu hoffen. Damit er noch vor der EM übernehmen kann!