Den Satz zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine zum Auftakt des EU-Gipfels hatte Olaf Scholz noch ordentlich vorgetragen. Er sagte das Notwendige und zu Erwartende. Aber schon auf eine Frage nach weiteren Konsequenzen aus dem Tiergartenmord durch einen russischen Geheimdienstmann, der jetzt gerichtlich als Staatsterrorismus eingestuft ist, geriet der Kanzler ins Schlingern. Und es entstand der Eindruck, dass er hier Moskau trotz seiner finsteren Geschichte der tödlichen Anschläge im Ausland nicht weiter zur Rechenschaft ziehen will.
Die EU-Partner sind ja daran gewöhnt, dass Deutschland von Vertretern ohne großen rhetorischen Anspruch repräsentiert wird. Während Politiker aus kleineren Nachbarländern oder etwa Frankreichs Präsident Macron beredt ihre Leitsätze und Wünsche vortragen, kommen von den Vertretern aus Berlin vorgestanzte Formeln ohne Aussagekraft.
Schwache Rhetorik - unentschlossene Politik?
Bei Angela Merkel war das diffus Formelhafte ein Mittel der Politik. Und Olaf Scholz hat ja Kontinuität versprochen - aber müssen seine Ansagen ganz so konturlos gemurmelt daherkommen? Er könnte sich von diesem Erbe der Vorgängerin gerne befreien und etwas mehr verbale Deutlichkeit an den Tag legen.
Es scheint allerdings, dass sich hinter den vagen Formulierungen eben auch eine unentschlossene Politik verbirgt. Kein Wunder, dass der litauische Politiker Linas Linkevicius ihm den "mystischen Dialog" mit Russland um die Ohren schlug, den Berlin immer beschwört, wenn der russische Präsident wieder einmal Einigkeit und Entschlossenheit der Europäer testet.
Olaf Scholz hat hier die Last der zurückliegenden Jahrzehnte sozialdemokratischer Politik aufzuarbeiten, in denen ein Ex-Kanzler zum russischen Gaslobbyisten wurde und die Putin-Versteher lange die Parteilinie bestimmten. Aber hat der Kanzler in seiner Regierungserklärung nicht Modernisierung versprochen? Die sollte jedenfalls auch für die Russland-Nostalgiker gelten, die den bitteren Wandel der Zeiten und der Politik des Kreml nicht wahrhaben wollen.
Legt doch etwas auf den Tisch!
Ähnliches gilt für Nord Stream 2: Das Projekt hat Deutschland mehr außenpolitisches Kapital gekostet als irgendein anderes in der jüngeren Geschichte. Olaf Scholz hat jetzt das Glück, dass die Genehmigungsbehörde ihm beisteht und vorläufig keine Betriebserlaubnis für die Pipeline in Aussicht stellt. Das Problem scheint also nicht akut. Aber es hat politische Sprengkraft und dennoch windet sich der Kanzler, wenn er gefragt wird, ob ein Stopp der Inbetriebnahme mit auf der Sanktionsliste des Westens steht, falls Putin die Ukraine überfallen sollte.
Dabei ist doch sowieso klar, dass die Antwort hier "Ja" heißt, und Deutschland unter diesen Umständen niemals einen Deal umsetzen könnte, der angesichts ganz anderer politischer Rahmenbedingungen entstanden war. Warum also nicht lieber dem Unausweichlichen zuvorkommen und aus freiem Entschluss Nord Stream auf die Liste der im Wandel der Zeiten unverträglich gewordenen Projekte setzen? Das kostet zwar Geld, ist aber ansonsten keine Schande und wäre eine wichtige Geste.
Etwas Führungsstärke ist möglich
Natürlich gibt es in Europa immer Vorbehalte gegen den Eindruck, Deutschland würde zu große Töne anschlagen und irgendeine Art von Vorherrschaft ausüben. Aber wenn - wie bei diesem Gipfel - am Ende Deutschland und Frankreich gemeinsam vor die Presse treten, zeigt das den notwendigen Willen zur Zusammenarbeit. Zwar wird auch das von anderen Ländern mit Misstrauen betrachtet, doch der Mythos von einer EU, die im Takt von Berlin und Paris marschiert, ist sowieso nicht auszurotten.
Trotzdem sollte ein Bundeskanzler seinen politischen Initiativen in Europa ruhig etwas mehr Dynamik verleihen. Zugegeben - die Leute so zu langweilen, dass sie den Willen zum Leben verlieren und erst recht die Energie zum Widerspruch, kann auch ein Mittel der Politik sein. Aber selbst im traditionell zurückgenommenen norddeutschen Charakter gibt es doch etwas mehr Spielraum zur Expressivität. Und schon immer galt der Satz, dass hinter schwurbeligen Sätzen unklare Gedanken stehen oder der Redner etwas zu verbergen hat.
Der erste Auftritt in der EU legt Olaf Scholz natürlich nicht auf alle Zeiten fest. Er kann noch an Kontur gewinnen und sein Profil schärfen. Dazu aber gehört die Erkenntnis, dass ein Bundeskanzler sich nicht hinter technischen Details verstecken kann, wie sie zum Geschäft des Finanzministers gehören. Der Kanzler ist der Mann fürs große Ganze, der seinen Kollegen und den Bürgern erklären muss, was die Regierung für richtig und notwendig hält. Und da wäre etwas mehr klare Kante ein Gewinn für alle Beteiligten.